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ellen. Dass die ab 1933 ventilierte Einbürgerung in Österreich615 letztendlich
nicht Wirklichkeit wurde, dürfte indes der Sorge Thomas Manns über die
politische Entwicklung nach dem Juliabkommen zuzuschreiben sein.616
Die „ökologischen“ Bedenken auf die Gesellschaft zu übertragen617 ent-
sprach der Ablehnung der linearen Geschichtsphilosophie des Fortschritts.618
Eric Voegelin deutete den Leviathan, wie erinnerlich der Inbegriff dessen,
was das konservative Österreich der dreißiger Jahre fürchtete (Kap. 4.1),
auch als Symbol für eine innerweltliche Gemeinschaft, die einen Teilinhalt,
nämlich das naturwissenschaftliche Wissen, verabsolutiere und die existen-
tielle Dimension des Menschen negiere.619 Eduard Spranger sah als eine der
Folgen den nicht mehr selbständig denkenden, genormten Menschen, der
zum Helfer totalitärer Systeme werden würde.620 Dietrich von Hildebrand
erkannte ein Wesensmerkmal abendländischer Geisteshaltung in der rich-
tigen Verteilung von Aktivität und Passivität621, ein Gedanke, der an den in
barocker Tradition stehenden Lobpreis der Muße in der Romantik erinnert
und die konservativen Vorbehalte gegen den Fortschrittsrausch erklärt.622
Aurel Kolnai dachte, „Vollkommenheitsillusionen“ würden zu utopischem
Denken führen und somit zur ideologischen Basis des Totalitarismus wer-
den.623 In der Tat war Technologie auch für den Faschismus sehr wichtig.624
Im Gleichklang mit jenen Konservativen, denen zufolge eine Übermacht der
Apparate die Spielräume der Menschen einenge625, forderte Anton Orel den
Abbau des „Maschinismus“, für ihn nur ein Aspekt von Kapitalismus und
„Fehlrationalisierung“; er glaubte an den „Aufbau von Arbeitsgelegenheit
durch Wiederaufbau der Stände“.626
Hermann Struber ortete die Anfänge der Technisierung der Arbeitswelt,
die in Wirklichkeit im englischen Empirismus lagen627, in der Zeit der Fran-
615 Zeder, Thomas Mann, 172–180; einen Fürsprecher hatte Thomas Mann in Richard Niko-
laus Coudenhove-Kalergi; ebd., 194; 1936 stand die Einbürgerung kurz vor der Verwirkli-
chung, umso mehr, als Thoams Mann durch die Vermittlung von Johannes Hollnsteiner
über beste Kontakte zu Bundeskanzler Schuschnigg verfügte; ebd., 216.
616 Zeder, Thomas Mann, 207–210.
617 stöltinG, „Macht und Eliten“, 220.
618 Kondylis, Konservativismus, 342.
619 henKel, Eric Voegelin, 84 f.
620 eder, Der Liberalismus, 12.
621 noser, Die historische Tragik, 229.
622 hersche, Gelassenheit, 20–23.
623 Grassl, Kolnai.
624 de felice, Deutungen, 81.
625 breuer, Anatomie, 71.
626 orel, Ständeordnung, 59.
627 Glass/serloth, Selbstverständnis, 29–32. 5. DER MENSCH IST
PERSON274
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580