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keine zeitliche, sondern nur logische Priorität habe. Nur in der Gezweiung
könne Selbst-Bewusstsein entstehen: So schaffe beispielsweise das Kind die
Mütterlichkeit. Als weitere mögliche Pole nannte Spann: Lehrer-Schüler,
Priester-Laie, Künstler-Publikum.24
Der Einzelne werde folglich erst als Glied der als Körper verstandenen
Gesellschaft zu einer geistig-sittlichen Persönlichkeit. Kein Gefühl, kein Ge-
danke könne entstehen, ohne von einem anderen mitempfunden (oder abge-
lehnt) zu werden.25 Die aus den Gezweitheiten hervorgehenden Lebenskreise,
die, weil klein, zu einer starken Zerklüftung der Gesellschaft führten, bezeich-
nete Spann als Stände.26 Als Organisationen jener Menschen, die „verhältnis-
mässig gemeinsame Lebensaufgaben“ haben27, besäßen sie ihre Wesenheit „in
Entsprechung zu anderen Ständen“.28 Ausdrücklich erklärte Spann, dass da-
mit nicht die herkömmlichen ordines gemeint seien.29
Jeder Mensch finde sich in vielen Lebenskreisen (Familie, Kirche, Heer,
Vereine, Staat, Religion, Philosophie, Wissenschaft, Kunst, Recht, Wirt-
schaft) wieder, jeweils in unterschiedlicher Innigkeit und Rangstellung und
entsprechend unterschiedlich davon geprägt; eine ständelose Gesellschaft
wäre ein bloßer Haufen.30
So wie Gezweiung weder zwischen völlig Ungleichen noch zwischen völlig
Gleichen möglich sei, sondern nur zwischen Gleichgearteten, die einander
ergänzten, kennzeichne den Stand eine gleichartige, allerdings abgestufte
Geistigkeit. Der echte Stand habe den Zug zur Festigung seiner Organisa-
tion in völliger Autonomie, zur Ausschöpfung seines spezifischen Aufga-
benkreises, zur lückenlosen Einbeziehung aller zugehörigen Mitglieder und
zur Entwicklung spezifischer Erziehungsformen. Seine Merkmale seien
Gleichartigkeit des Lebensinhalts, der Lebenshaltung und der Gesinnung
24 sPann, Der wahre Staat, 34; vgl. becher, Der Blick, 110; bohn, Ständestaatskonzepte, 33–
35; diamant, Katholiken, 211; heinrich, Ständewesen, 3; Kaltenbrunner, Europa, 384 f.;
LK, 519 und 570 (F. romiG); K. luGmayer, Grundrisse, 134 f.; mayer-tasch, Korporativis-
mus, 28–35; Pichler, Welt als Ganzes, 247; Pichler, Werk, 20; rassem, Othmar Spann, 89
und 96; resele, Ständestaatskonzeption, 11; schneller, Zwischen Romantik und Faschis-
mus, 19; simonett, Die berufsständische Ordnung, 48–52; streitenberGer, Leitbild, 226.
25 diamant, Katholiken, 118 f.; heinrich, Schlüsselbegriffe, 343; heinrich, Ständewesen, 3;
Pichler, Werk, 88 und 209–211; resele, Ständestaatskonzeption, 14.
26 bohn, Ständestaatskonzepte, 34; rassem, Othmar Spann, 96.
27 P. nolte, Die Ordnung, 180.
28 sPann, Der wahre Staat, 200 f.
29 heinrich, Schlüsselbegriffe, 348; Pichler, Werk, 21.
30 sPann, Der wahre Staat, 197; becher, Der Blick, 129 f.; heinrich, Schlüsselbegriffe, 344
f.; Pichler, Werk, 21, 89 und 248–250; PytliK, Berufsständische Ordnung, 25; LK, 43 (F.
romiG); senft, Im Vorfeld, 81; H. walter, Ständewesen, 4–8. 6.
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580