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bzw. Ungebildeten.119 Junge/Alte, Männer/Frauen, Ledige/Verheiratete be-
zeichnete er als „Lebensstände“, hiermit die Sprache der katholischen Kir-
che übernehmend120, die ein entsprechendes Bewusstsein im 19. Jahrhun-
dert gefestigt hatte: Anton Thir verwendete „Stand“ für die Ehelosen, die
Verheirateten, die Witwen etc.121 Rudolf Henz war mit dieser Begrifflichkeit
ebenfalls sehr vertraut.122
Karl Lugmayer, der Philosoph des Personalismus, sah im Gefühl der Zu-
sammengehörigkeit aufgrund spezifischer Anschauungen ein Kernelement
des Standesbegriffs. Wie Richard Schmitz, doch im Gegensatz zu anderen
Klassikern des Solidarismus123 hielt er auch einen „Arbeiterstand“ für mög-
lich; von diesem erklärte er – in ausdrücklicher Abgrenzung von Bauern und
Bürgern –, er sei „ein eigener Sozial- und Kulturstand“; daher müsse sich
die Politik „in typisch arbeiterhafter Form“ um die Belebung des kulturellen
Lebens der Arbeiter bemühen.124 Die schwierige Situation der weitgehend
mittellosen städtischen Familien war ihm eine echte Sorge.125 Johannes
Messner hielt es ebenfalls für wünschenswert, dem Arbeiter die vollberech-
tigte Stellung eines Glieds der Gesellschaft, also eines Stands, zu geben. Er
wünschte Maßnahmen zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz, die
die Abhängigkeit vom Unternehmer verringern und der Entproletarisierung
dienen sollten.126
Weitere Mandatare, die den Begriff „Stand“ für die Arbeiter für angemes-
sen hielten, waren die Exponenten der Arbeiterbewegung Leopold Kunschak
und Johann Staud; sie verwendeten ihn im Sinn von „Sozialstand“.127 Kun-
schak setzte große Hoffnungen in „Charakter“, „Standesbewusstsein“ und
„Standesehre“ der Arbeiter128, Stauds vorrangiges Ziel war deren Entprole-
tarisierung, für ihn die Voraussetzung der „Standwerdung“.129 Er sprach mit
solchem Nachdruck vom „Arbeiterstand“, dass er sich den Vorwurf des Klas-
senkampfs einhandelte.130 Karl Flödl forderte von jedem Arbeiter und Ange-
119 R. schmitZ, Der Weg, 18.
120 Hier begegnet für „Lebensstände“ auch „Naturstände“; LThK/III 9 (2000), 924 f. (N. Glat-
Zel); vgl. auch LThK/III 2 (1994), 296 f. (U. nothelle-wildfeuer).
121 thir, Frauengestalten 1, V.
122 henZ, Österreich, 83.
123 beyer, Ständeideologien, 130.
124 CS 26. 8. 1934 (K. luGmayer).
125 K. luGmayer, Linzer Programm, 47.
126 SZ 1. 9. 1935 (J. messner).
127 KunschaK, Österreich, 53; vgl. wiltscheGG, Heimwehr, 317.
128 reichhold, Opposition, 61–63.
129 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 93.
130 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 102 und 106.
6.3 DER STAND UND DAS STANDESGEMÄSSE 315
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580