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stark unterrepräsentiert; vor allem ab 1934/35.145 1930–1937 betrug der
Frauenanteil an Mittelschulen ein knappes Drittel.146 Der Anteil der weib-
lichen Studierenden an den Universitäten lag 1934–1938 bei knapp 19 Pro-
zent147; ähnlich war der Anteil der Absolventinnen.148 Für die „Lebensschu-
lung“ der Mädchen galten halböffentliche und private Schulen in kirchlicher
Trägerschaft als am besten geeignete Bildungsstätten.149
Fasst man alle eben referierten Positionen zusammen, zeigt sich, dass die
„neuen“ Stände nach unterschiedlichen, teilweise einander überlagernden Kri-
terien definiert wurden. Bezeichnend hierfür sind die von Friedrich von Weichs
gebildeten Begriffsreihen, die, wenn schon nicht ein und denselben, so doch eng
verwandte Sachverhalte zusammenfassten: „Branchen, Stände, Standesverei-
nigungen, Unternehmungen und Tätigkeiten“ bzw. „Berufe, Stände, Branchen,
Betriebe, Unternehmungen und Tätigkeiten“.150 Für ähnliche Unschärfe der
Kategorienbildung steht ein – nicht realisierter – Plan zu einem Dollfuß-Denk-
mal am Wiener Ballhausplatz von Clemens Holzmeister mit einem Relief,
das um den Bundeskanzler mehrere Gruppen versammelte: die Jugend, die
Stände, Bauern, Arbeiter, die Familie.151 Im CV wurde – mit Bezug auf das
„Heim“ der Familien, das über deren Wesen sehr viel aussage – der „Stand“
mit „dem Beruf, den Traditionen, […] der Seele“ auf eine Linie gebracht.152 Es
herrschte die Überzeugung, geistige Haltung und Charakter eines Menschen
einerseits und sein Berufsgeist andererseits beeinflussten einander wechselsei-
tig.153 Konstantin von Hohenlohe bezeichnete „durch Wirtschaft und kulturelle
Bedürfnisse geschaffene freie Assoziationen“ als Stände.154
Das Standesgemäße und die Standesehre
Es ging in diesem Diskurs nicht zuletzt um die von Franz Martin Schindler
angemahnte, mit „standesgemäßer“ Lebensform verbundene „Standeseh-
145 sorGo, Schulpolitik, 106 f.
146 ennsmann, Frauenpolitik, 61 f.; hauch, Vom Androzentrismus, 358.
147 ennsmann, Frauenpolitik, 70.
148 ennsmann, Frauenpolitik, 73.
149 erben, Schule, 126; schretter, Das ideologische Nahverhältnis, 83–86; tálos, Herrschafts-
system (2013), 399; wallraf, Kultur, 215 f.
150 v. weichs, Der Weg, 15.
151 GraseGGer, Denkmäler, 515–517; zum Denkmalplan vgl. dreidemy, Der Dollfuß-Mythos,
140–143.
152 leb, Das Familienideal, 42.
153 Krasser, Sinn und Zweck, 109.
154 hohenlohe, Ständestaat, 10.
6.3 DER STAND UND DAS STANDESGEMÄSSE 317
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580