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schen Anerbenrechts337; nur wenn ein Gut genügend groß sei, könne eine
Teilung stattfinden. Für den Fall von „Misswirtschaft“ sah sie das Eingrei-
fen der ständischen Kontrollbehörde vor.338
Demselben Grundanliegen verpflichtet, doch ohne den totalitär anmuten-
den Ansatz der Spann-Schülerin griff Leopold Teufelsbauer das Thema auf.
Zwar scheute er sich nicht festzustellen, der – im Übrigen namengebende
– Hof sei wichtiger als der Bewohner, aber am Reichserbhofgesetz von 1933
bemängelte er, dass es weichende Erben und Töchter benachteilige. Unein-
geschränktes Lob spendete er den Höfegesetzen der Länder Tirol und Kärn-
ten von 1900 bzw. 1906, in denen die Unteilbarkeit festgeschrieben war; für
Geschwister forderte er ein „Heimgangsrecht“.339 Der Dechant sah im Bau-
ern das Verbindungsglied zwischen Vergangenheit und Zukunft – so wie die
bäuerliche Arbeit nur Ruhepausen, aber kein Aufhören kenne, daher „ewig“
sei.340 Karl Lugmayer sprach vom Bauernhof, der über den Geschlechtern
stehe.341 Guido Zernatto wies darauf hin, dass es kaum irgendwo einen Ar-
beiter der dritten Generation gebe, während in bäuerlichen Geschlechtern
lange Generationenfolgen rekonstruierbar seien.342 Ludwig Strobl erklärte
1934, der österreichische Bauer sehe „nicht in seinem Hof ein Unternehmen,
dessen Erträgnisse die Bedürfnisse der Besitzerfamilien zu decken haben,
sondern der Bauer und seine Familie dienen dem Hof“.343 Philipp Bugelnig
verankerte diesen Gedanken im Kontext des organizistischen Weltbildes,
wobei allerdings Darwin mitschwang.344
Im Spann-Kreis wurde außer der Landwirtschaft im Allgemeinen der
Forstwirtschaft im Besonderen hohe gesellschaftspolitische Relevanz be-
scheinigt, nicht zuletzt deshalb, weil sie ein Denken in ungewöhnlich langen
Zeiträumen erfordere: Die Ernte erfolge meist erst in der dritten oder vierten
Generation. Wegen der hohen ökologischen Bedeutung des Waldes verlange
sie einen hohen „sittlichen Geist“ und lasse jegliches Vorteilsstreben des Ein-
zelnen nicht zu.345
So romantisch die eben referierten Vorstellungen klingen: Der konserva-
tiv-liberale Ökonom Wilhelm Röpke ließ sie vorbehaltlos gelten346, ja neigte
337 sPinnhirn, Agrarpolitik, 70 f.
338 sPinnhirn, Agrarpolitik, 27–29.
339 CS 17. 6. 1934 (L. teufelsbauer).
340 teufelsbauer, Landfrauenarbeit, 1.
341 K. luGmayer, Leos Lösung, 48.
342 Zernatto, Die Wahrheit, 17.
343 Zit. nach KluGe, Dollfuß, 129.
344 buGelniG, Der Ständestaat, 18.
345 StL 1935, 122–138 (L. vorreiter).
346 habermann, Das Maß, 42. 6.
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580