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bauer, der von der „menschenmordenden Großstadt“ sprach455, blieb der
tief sitzende nicht nur strukturelle, sondern im Geistigen liegende Unter-
schied zwischen Stadt und Land, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts
verschärft hatte, nicht verborgen. Er unterstrich, welch „gewaltige Kulturar-
beit“ die bäuerliche Familie leiste und welch hohes Arbeitsethos in ihr herr-
sche. Seit den zwanziger Jahren im Raum stehende Überlegungen, städti-
sche Arbeitslose in der Landwirtschaft einzusetzen, wo man sie dringend
gebraucht hätte, hielt er für unrealistisch, weil der Mentalitätsunterschied
zu groß sei. Bäuerliche Zuwanderer in der Stadt fänden sich zurecht, umge-
kehrt nicht.456 Doch er erwog: „Vielleicht, dass das erwachende ständische
Bewusstsein auch eine Höherbewertung des Bauernstands bringen wird
und damit die Möglichkeit, mehr Bewohner auf dem Lande festzuhalten.“457
Diese Worte schrieb er weniger als zwei Jahrzehnte nachdem der Grazer
Nationalökonom Josef Alois Schumpeter im Licht des in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts erfolgten Bedeutungsrückgangs der Landwirtschaft im
wirtschaftlichen Gesamtgefüge erklärt hatte, der Bauernstand habe keine
Daseinsberechtigung mehr.458 Wilhelm Röpke schwebte hingegen die klassi-
sche Polis als Ideal vor: Eine Stadt mit mehr als 60.000 Einwohnern war für
ihn „von Übel“.459
Franz Martin Schindler hatte noch vor der Jahrhundertwende eine Ge-
fährdung der ständischen Eigenschaften des Bauerntums festgestellt.460
Nach Anton Rintelens Wahrnehmung „wuchs die Gefahr der Verbildung.
Ehrwürdiges Brauchtum, ererbt in Spiel, Lied, Tanz und Trachten, kam all-
mählich ab, wurde verleidet, statt sorgsam gehütet und gepflegt zu werden.
Kitsch und Modewesen, Genuß- und Vergnügungsleben, Wirtshaussitten
bürgerten sich allmählich ein“.461 Für Friedrich Funder begann die Krise des
Bauerntums ebenfalls in dieser Zeit.462
Ein als besorgniserregend empfundener Höhepunkt derselben kam 1931
im NR zur Sprache, nämlich ein Minderwertigkeitsgefühl der Bauern gegen-
über den Städtern – und damit das allmähliche Schwinden ihres Standes-
bewusstseins: Mittlerweile komme die Wertschätzung des Bäuerlichen nicht
mehr vom Land, sondern von der Stadt, sie sei gleichsam zu einem Bildungs-
455 teufelsbauer, Landfrauenarbeit, 1.
456 CS 17. 6. 1934 (L. teufelsbauer).
457 teufelsbauer, Landfrauenarbeit, 5.
458 burKert-dottolo, Das Land, 15–20.
459 habermann, Das Maß, 38.
460 schindler, Lehrbuch III, 784.
461 rintelen, Erinnerungen, 48.
462 funder, Aufbruch, 71.
6.5 BAUERNTUM ALS IDEAL 345
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580