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Nach 1918
„Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
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bauer, der von der „menschenmordenden Großstadt“ sprach455, blieb der tief sitzende nicht nur strukturelle, sondern im Geistigen liegende Unter- schied zwischen Stadt und Land, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts verschärft hatte, nicht verborgen. Er unterstrich, welch „gewaltige Kulturar- beit“ die bäuerliche Familie leiste und welch hohes Arbeitsethos in ihr herr- sche. Seit den zwanziger Jahren im Raum stehende Überlegungen, städti- sche Arbeitslose in der Landwirtschaft einzusetzen, wo man sie dringend gebraucht hätte, hielt er für unrealistisch, weil der Mentalitätsunterschied zu groß sei. Bäuerliche Zuwanderer in der Stadt fänden sich zurecht, umge- kehrt nicht.456 Doch er erwog: „Vielleicht, dass das erwachende ständische Bewusstsein auch eine Höherbewertung des Bauernstands bringen wird und damit die Möglichkeit, mehr Bewohner auf dem Lande festzuhalten.“457 Diese Worte schrieb er weniger als zwei Jahrzehnte nachdem der Grazer Nationalökonom Josef Alois Schumpeter im Licht des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgten Bedeutungsrückgangs der Landwirtschaft im wirtschaftlichen Gesamtgefüge erklärt hatte, der Bauernstand habe keine Daseinsberechtigung mehr.458 Wilhelm Röpke schwebte hingegen die klassi- sche Polis als Ideal vor: Eine Stadt mit mehr als 60.000 Einwohnern war für ihn „von Übel“.459 Franz Martin Schindler hatte noch vor der Jahrhundertwende eine Ge- fährdung der ständischen Eigenschaften des Bauerntums festgestellt.460 Nach Anton Rintelens Wahrnehmung „wuchs die Gefahr der Verbildung. Ehrwürdiges Brauchtum, ererbt in Spiel, Lied, Tanz und Trachten, kam all- mählich ab, wurde verleidet, statt sorgsam gehütet und gepflegt zu werden. Kitsch und Modewesen, Genuß- und Vergnügungsleben, Wirtshaussitten bürgerten sich allmählich ein“.461 Für Friedrich Funder begann die Krise des Bauerntums ebenfalls in dieser Zeit.462 Ein als besorgniserregend empfundener Höhepunkt derselben kam 1931 im NR zur Sprache, nämlich ein Minderwertigkeitsgefühl der Bauern gegen- über den Städtern – und damit das allmähliche Schwinden ihres Standes- bewusstseins: Mittlerweile komme die Wertschätzung des Bäuerlichen nicht mehr vom Land, sondern von der Stadt, sie sei gleichsam zu einem Bildungs- 455 teufelsbauer, Landfrauenarbeit, 1. 456 CS 17. 6. 1934 (L. teufelsbauer). 457 teufelsbauer, Landfrauenarbeit, 5. 458 burKert-dottolo, Das Land, 15–20. 459 habermann, Das Maß, 38. 460 schindler, Lehrbuch III, 784. 461 rintelen, Erinnerungen, 48. 462 funder, Aufbruch, 71. 6.5 BAUERNTUM ALS IDEAL 345
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„Berufsstand“ oder „Stand“? Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Title
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Subtitle
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Author
Erika Kustatscher
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien - Köln - Weimar
Date
2016
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20341-4
Size
17.4 x 24.6 cm
Pages
682
Keywords
Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 11
  2. Abkürzungen und Siglen 17
  3. 1. Das Erkenntnisinteresse 19
    1. 1.1 Die geltende Meistererzählung – und was sie offen lässt 20
    2. 1.2 Stand: Der begriffliche Ausgangspunkt 33
    3. 1.3 Das Arbeitsvorhaben 38
  4. 2. Zur Methode 45
    1. 2.1 Der diskursanalytische Ansatz 45
    2. 2.2 Literarische und autobiographische Texte 52
    3. 2.3 Das Textcorpus 55
  5. 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
    1. 3.1 Österreich 1918–1938 59
    2. 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
    3. 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
    4. 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
    5. 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
    6. 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
      1. 3.7 Die Verfassung vom 1. Mai 1934 163
    7. 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
    8. 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
  6. 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
    1. 4.1 Das „Erbe“ von 1789: Die Französische Revolution als „Urgrund“ von Individualismus, Liberalismus, Kapitalismus und Marxismus 182
    2. 4.2 Kritik an der parlamentarischen Demokratie 193
  7. 5. Der Mensch ist Person 211
    1. 5.1 Für Freiheit und Menschenwürde 211
    2. 5.2 Individualität versus Individualismus 213
    3. 5.3 Freiheit und Ordnung 215
    4. 5.4 Leben und Geist 227
    5. 5.5 Persönlichkeit und Gemeinschaft 256
    6. 5.6 Kultivierung personaler Werte 265
    7. 5.7 Legitimität versus Legalität 287
  8. 6. Standesbewusstsein 301
    1. 6.1 Semantische Unschärfen 301
    2. 6.2 Exkurs: „Stand“ bei Othmar Spann 303
    3. 6.3 Der Stand und das Standesgemäße 306
    4. 6.4 Adel in der Bewährung 323
    5. 6.5 Bauerntum als Ideal 329
    6. 6.6 Die Familie 354
    7. 6.7 Heimatbewusstsein versus Nationalismus 375
    8. 6.8 Österreichbewusstsein versus Nationalsozialismus 396
  9. 7. Die berufsständische Ordnung 435
    1. 7.1 Vorläufige Begriffsbestimmung 435
    2. 7.2 Die christlich-soziale „Gesellschaftsreform“ aus der Sicht der Mandatare 437
    3. 7.3 Exkurs: Das Genossenschaftswesen 439
    4. 7.4 Aspekte der berufsständischen Ordnung 442
    5. 7.5 Probleme der berufsständischen Ordnung 458
    6. 7.6 Stände jenseits der Berufe 480
  10. 8. Staat und Gesellschaft 487
    1. 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
    2. 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
    3. 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
    4. 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
    5. 8.5 Das Autoritäre 503
    6. 8.6 Schul- und Volksbildung 511
    7. 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
  11. 9. Resümee: status ist ordo 527
  12. 10. Anhang 541
    1. 10.1 Mandatare, die für die Fragestellung der vorliegenden Studie relevante Schriften hinterließen 541
    2. 10.2 Mandatare, die mit eigenen Beiträgen in den genannten Periodika vertreten waren 545
    3. 10.3 Ständetheoretiker 546
    4. 10.4 Verfasser ergänzend herangezogener Texte 553
  13. 11. Quellen und Literatur 580
    1. 11.1 Quellen zur politischen Geschichte 580
    2. 11.2 Zeitgenössische Periodika 581
    3. 11.3 Monographische Arbeiten und vermischte Beiträge der Mandatare 595
    4. 11.4 Ständetheoretische und ähnliche Arbeiten 601
    5. 11.5 Ergänzende Quellen 603
    6. 11.6 Forschungsliteratur 607
    7. 11.7 Internetquellen 664
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