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element geworden.463 Die Bauern selbst ließen sich hingegen vom städtischen
Leben allzu sehr beeinflussen.464 Dieses Phänomen stimmte auch die konser-
vativ-liberale Wirtschaftswissenschaft besorgt: Wilhelm Röpke forderte von
den Menschen im Dorf und in der Kleinstadt klare Bekenntnisse zu diesen
Kulturwerten und hieß die Anpassung an städtischen Lebensstil nicht gut.465
Nur Ernst Karl Winter sah Stadt und Land nicht als notwendige Gegen-
sätze, sondern wünschte die Kooperation: So sehr auch er den Bauernstand
schätzte, glaubte er doch, dass es gut wäre, wenn der organisatorische Fort-
schritt der Stadt dem Land zugute käme.466
Auch unter den Mandataren gab es solche, die die Schattenseiten des
bäuerlichen Lebens klar sahen. Hans Karl Zeßner-Spitzenberg stellte 1920
ernüchtert die Lockerung verwandtschaftlicher Beziehungen und die Auf-
lösung der alten Gesindeverfassung fest.467 Er selbst hatte als Gutsherr in
Umsetzung Vogelsang’scher Ideale bereits vor 1914 ein Exempel statuiert,
indem er mit den auf seinem familieneigenen Betrieb tätigen Landarbeitern
einen Kollektivvertrag schloss, den ersten dieser Art im gesamten deutschen
Sprachraum.468 In seiner Habilitationsschrift hatte er sich mit Fragen des
Landarbeiterrechts beschäftigt.469 All dies geschah aus jener genuin christli-
chen Überzeugung des Gutsbesitzers und Landwirtschaftsexperten, die sich
im Grundsatz „Eigentum verpflichtet, zumal den Besitzlosen gegenüber“470,
verdichtete. Er betonte außerdem die Wichtigkeit sozialer und alltagsgeselli-
ger Beziehungen zwischen den Lohnarbeitskräften und den landwirtschaft-
lich Besitzenden, zumindest den unteren Schichten derselben, und erklärte
eheliche Verbindungen zwischen ihnen für wünschenswert.471 Johann Blöchl
schrieb es dem Einfluss des Liberalismus zu, dass der gesellschaftliche Un-
terschied zwischen Bauer und Knecht größer geworden sei und dass manche,
für ihn „undenkbar“ (so noch 1975), den gemeinsamen Tisch gemieden hät-
ten.472 Für Leopold Teufelsbauer war diese Weltanschauung dem vormals
guten Verhältnis zwischen Eltern und Kindern abträglich gewesen.473
463 NR 25. 4. 1931 (J. weiGert).
464 NR 9. 5. 1931 (J. weiGert).
465 habermann, Das Maß, 44 f.
466 heinZ, E. K. Winter, 153.
467 H. K. Zeßner-sPitZenberG, Einführung, 116–119.
468 fux, Für Christus, 22; waltersKirchen, Blaues Blut, 70; wohnout, Hans Karl Zeßner-Spit-
zenberg, 7; K. P. Zeßner-sPitZenberG, Hans Karl, 20.
469 wohnout, Hans Karl Zeßner-Spitzenberg, 7.
470 K. P. Zeßner-sPitZenberG, Hans Karl, 54.
471 H. K. Zeßner-sPitZenberG, Einführung, 107.
472 blöchl, Lebenserinnerungen, 76.
473 CS 17. 6. 1934 (L. teufelsbauer). 6.
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580