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tischen Vereinigung von Eltern und Erziehern, vorstellen, die, ohne sich als
gleichwertige Alternative zur Familie zu verstehen, katholische Erziehung
außerhalb der Schule anbot.659 Zeit seines Lebens war er darauf bedacht,
die Parallelen zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus hervorzu-
heben.660 Dasselbe tat – am Beispiel Familienfeindlichkeit – die SZ.661 Kurt
Schuschnigg hielt in einer Rundfunkansprache im Mai 1934, damals noch
Unterrichtsminister, den Jugendlichen vor Augen: „Ihr gehört in erster Linie
den Eltern.“662
Richard Meister rief historische Formen in Erinnerung, deren Chrono-
logie einen langsamen Übergang von der Privatheit zur Öffentlichkeit do-
kumentiert.663 Ähnlich beschrieb Franz Martin Schindler das Werden der
staatlichen Hoheit: Von der hausväterlichen Gewalt (Familie) über die des
Patriarchen (Sippe) zur politischen Gewalt.664
Auf mögliche Nachteile wies Franz Hörburger hin, etwa „blinde Liebe
und Überschätzung der eigenen Kinder“ oder unzureichende Bildungsmög-
lichkeiten. So werde die Schule zur „Erziehungs- und Bildungseinrichtung,
die die Familienerziehung zu ergänzen berufen ist“.665 Im Bildungswesen
glaubte auch Otto Ender auf einen „maßgebenden Einfluss“ des Staates
nicht verzichten zu können.666 Pointierte Worte fand Richard Nikolaus Cou-
denhove-Kalergi: Die Familie sei ein „überpersönliches Individuum“, Famili-
ensinn „überpersönlicher Egoismus.“667
Die größten Bedenken gegen zu viel Familiensinn hatte Margarete Rada:
Sie bedauerte es keineswegs, dass der Schulunterricht die Kluft zwischen
Eltern und Kindern vertiefe668 und dass Vereine dem Familienleben „einen
starken Riss“ verursacht hätten.669 Bei den Erhebungen zu einer soziolo-
gisch-pädagogischen Studie über einen Wiener Arbeiterbezirk im Schuljahr
1926/27 hatte sie nicht jene weitgehend „heilen“ Familien kennengelernt,
die dem traditionalen Familienbegriff zugrunde liegen, sondern soziales
Elend. Sie wies darauf hin, dass die Kinder in den Vereinen gutes Benehmen
659 NR 31. 3. 1928, 7. 4. 1928 (Z. fischer ofm).
660 ePPel, Österreicher 2, 333.
661 SZ 28. 2. 1937 (F. sturm).
662 Zit. nach Gober, Schule, 204.
663 meister, Politische Bildung, 98.
664 schindler, Lehrbuch III, 792.
665 hörburGer/simonic, Lehrbuch II, 69 f.
666 CS 4. 11. 1934 (O. ender).
667 coudenhove-KalerGi, Ethik, 20.
668 rada, Proletariermädchen, 78.
669 rada, Proletariermädchen, 19.
6.6 DIE FAMILIE 363
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580