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schweren Zeiten für einen tragenden Wert; sie mache einen Staat möglich,
der „ein ethischer Staat im christlichen Sinne“ sein könne.912
Richard Schmitz zog die dort bestehenden Beziehungen jedem mit Indi-
vidualismus verbundenen „Weltbürgertum“, wo sich alles auf einer institu-
tionellen Ebene abspiele, vor.913 Rudolf Henz schrieb es dem „Internationa-
lismus“ der Lehre von Karl Marx zu, dass dem Arbeiter das Heimatgefühl
abhanden gekommen sei; für ihn galt: „Verwurzelung ist der Beginn, Ent-
wurzelung das Ende jeglicher Kultur und Bildung.“914 Im CS wurde „boden-
ständiges Bewusstsein“ als Möglichkeit gewürdigt, die Gefahr der Entwur-
zelung des Menschen durch die moderne Großstadtkultur zu überwinden.915
Clemens Holzmeister bereitete der verderbliche Einfluss des „Internatio-
nalismus“ ebenfalls Unbehagen; ihm war, als ob Österreich „die Begriffe von
Heimat und Art und die große Tradition begraben müsste, um einer Zivilisa-
tion Platz zu machen, die jeder Persönlichkeit bar ist“.916 Im Architektenver-
ein plädierte er für die Berücksichtigung lokaler Bautraditionen, die auf die
„organisch gewachsene Kulturlandschaft“ Rücksicht zu nehmen hätten.917
Zeit seines Lebens erinnerte er sich an einen Lieblingsplatz seiner Jugend
im Heimatdorf Fulpmes, eine Schmiede, wo er den Zugang zu „den erdver-
bundenen Bauformen“ gefunden habe.918 Zur intellektuellen Kunst Wiens,
beispielsweise Adolf Loos, fand er keine positive Beziehung.919
Im musikalischen Bereich begegnet die Verbundenheit mit der Heimat bei
Josef Marx. Überzeugt von einer „innige(n) Zusammengehörigkeit von ech-
ter Kunst und Volkstum“, sah er in den großen Komponisten in erster Linie
Vertreter ihres Landes; immer singe „der echte Künstler von seiner Heimat,
in ihrer Sprache, in ihrem Geiste“.920
Oswald Redlich machte die Geschichtswissenschaft zur Trägerin seiner
Verbundenheit mit der Heimat. Ein Schwerpunkt seines akademischen
Wirkens lag im Bereich der Landeskunde.921 So etwa gehörte er zu den Pro-
motoren des Projekts Historischer Atlas der österreichischen Alpenländer.922
912 sPatZeneGGer, Franz Rehrl, 65 und 69.
913 R. schmitZ, Die Bedeutung, 11; vgl. Karoshi, Die Erinnerung, 26.
914 Zit. nach venus, Rudolf Henz, 12; einer ähnlichen Terminologie bediente sich Anton Rin-
telen; er sprach allerdings auch von Verwachsenheit in „Blut und Boden“ als beseelender
Kraft; rintelen, Erinnerungen, 124.
915 CS 3. 6. 1934 (W. R. ZaloZiecKy).
916 Knofler, Clemens Holzmeister, 1273.
917 MSchKP 1, 1125 f.
918 Knofler, Clemens Holzmeister, 8 und 22.
919 Knofler, Clemens Holzmeister, 10; Posch, Clemens Holzmeister, 243–245.
920 marx, Betrachtungen, 14–16.
921 winKelbauer, Oswald Redlich, 400.
922 wutte, Oswald Redlich, 60.
6.7 HEIMATBEWUSSTSEIN VERSUS NATIONALISMUS 389
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580