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tenten, balkanmäßigen Zivilisation Wiens“934 gegenüberstellte, ist allerdings
nicht Ausdruck mangelnder Wertschätzung der in der Hauptstadt versammel-
ten verschiedenen Ethnien935, woran man angesichts des allgemein verbreite-
ten Bildes von Wien als einer „Parasitenstadt“936 und anderer Vorbehalte gegen
die von vielen zum negativen Symbol gemachte Hauptstadt937 denken könnte,
denn Zernatto schätzte auch das Nebeneinander der Nationalitäten; „Heimat-
liebe“ und „Lokalpatriotismus“ (in quasi synonymer Verwendung der Begriffe)
seien aber starke Stützen des Staatsbewusstseins.938
Otto Ender sprach 1919 von einer Vorarlberger „Landesindividualität“.
Er glaubte die spezifischen Tugenden der Bewohner Vorarlbergs genau zu
kennen und bemühte sich, das Bild einer geographischen Sonderstellung
des Landes zu vermitteln.939 Im Herbst 1918 hatte das westlichste Bundes-
land die Selbständigkeit erlangt; die neue Landesregierung hatte den Arl-
bergpass sperren lassen und die gemeinsame Verwaltung mit Tirol aufge-
kündigt.940 Unter Berufung auf das von den Siegermächten allen Nationen
zugesicherte Selbstbestimmungsrecht wollten sich die Vorarlberger zur ei-
genen Nation erklären. Sogar ein Anschluss an die Schweiz stand als Idee
im Raum.941 Wilhelm Mohr, der Verfasser einer als Lehr- und Lernbehelf für
landwirtschaftliche Fach- und Fortbildungsschulen gedachten Geschichte
Vorarlbergs, akzentuierte die Unterschiede zwischen dem alemannischen
Siedlungsraum und den bajuwarisch geprägten Ländern.942
In anderen Bundesländern entwickelten sich ungeachtet ihrer formellen
Beitrittserklärungen zur Republik und ihrer wichtigen Rolle beim Aufbau
von deren Verwaltung943 starke Bewegungen für den Anschluss an Deutsch-
land, die sich in Volksabstimmungen artikulierten.944 Der Partikularismus
der Länder945 trat nicht nur gegenüber dem Gesamtstaat, sondern auch in
934 rossbacher, Literatur, 103.
935 in der maur, Einleitung, 20 f.
936 valentin, Länderpartikularismus, 36.
937 barnay, Erfindung, 342.
938 Zernatto, Die Wahrheit, 120.
939 barnay, Erfindung, 363 und 380; wanner, Otto Ender, 166.
940 barnay, Erfindung, 325 f.
941 barnay, Erfindung, 339 und 351; Potočnik, Bewusstsein, 109 f.; G. stourZh, Vom Reich,
58; in einem Zeitungsartikel von 1939 wurde die Kaffeetafel von Enders Gemahlin als Zen-
trum dieser Anschlussbewegung bezeichnet; er selbst habe sich nicht exponiert; P. me-
lichar, Ein Fall, 190.
942 mohr, Heimatkunde, 24.
943 Potočnik, Bewusstsein, 112; G. stourZh, Länderautonomie, 64–67.
944 malfèr, Wien und Rom, 59–64; Potočnik, Bewusstsein, 104–108; reichhold, Kampf, 46–49;
vgl. brandl, Kaiser, 375.
945 valentin, Länderpartikularismus, 35–48.
6.7 HEIMATBEWUSSTSEIN VERSUS NATIONALISMUS 391
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580