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lebensfremden Doktrinen zum Opfer zu fallen“.971 Die Verbundenheit der
Menschen mit ihren Ländern kam demnach sehr stark auf der emotiona-
len Ebene zum Tragen.972 Im Zusammenhang mit der Verankerung des Län-
derpatriotismus im Volkskundlichen ist von Interesse, dass die VF offizielle
Landestrachten entwickeln ließ.973
Dass die zuletzt genannten Stimmen teilweise von geistlicher Seite ka-
men, ist kein Zufall. Johannes Messner veranschlagte die Rolle der Kirche
für die „völkische Erneuerung“ sehr hoch und hielt „lebendiges Volkstum“,
also das, was auf vornehmlich lokaler Ebene vor sich ging, für einen idealen
„Hort religiösen Lebens“.974 So missverständlich seine Begrifflichkeit wirken
könnte, einen Vorrang von „Rasse und Volkstum“ vor Religion und Glauben,
den „Grundirrtum des Blutmythos“, lehnte er ab. Die erste Gemeinschaft sei
die der Gnade: Daher liege es an der Kirche, zur „Hüterin des Volkstums“
zu werden; dieses könne nicht überleben, wenn es nicht von übergeordneten
religiösen Kräften behütet werde.975
Selbst Ignaz Seipel – mit seinem über das jeweilige Landesbewusstsein hi-
nausgehenden Bild vom Österreicher als „Großstaatmenschen“976 – gewann
dem Länderpatriotismus Positives ab: Er habe in Österreich traumatische ge-
schichtliche Erfahrungen merklich abgefedert.977 Im Föderalismus der Länder
sah er eine Möglichkeit der Abgrenzung vom roten Wien, vor allem kulturell:
gesunde, volksverwurzelte, katholisch-konservative Provinzkultur gegen deka-
dente, intellektuelle, sozialdemokratische Kultur der Hauptstadt.978 Richard
Kerschagl ortete selbst im Bereich der Finanzwirtschaft große Unterschiede.979
Einen hohen Stellenwert hatte die Verbundenheit mit dem engeren Vater-
land im CV. Bei den österreichischen Verbindungen, denen viele Mandatare
angehörten, zeigt sich diese schon an den Namen: Austria, Norica, Baben-
berg, Traungau, Kürnberg.980
Hält man sich vor Augen, wie eingeschränkt die Befugnisse der Länder re-
aliter waren981, ist der Länderpatriotismus schwer nachvollziehbar. Gleich-
971 vauGoin, Hinein, 4; vgl. staudinGer, Vaugoin, 152.
972 tálos, Handbuch, 133 (K. weber).
973 brucKmüller, Nation Österreich, 189 f.
974 SZ 24. 12. 1933 (J. messner).
975 SZ 1. 7. 1934 (J. messner).
976 schwarZenberG, Erinnerungen 86; suPPanZ, Das Barock-Zeitalter, 113; suPPanZ, Der öster-
reichische Mensch, 188.
977 Kann, Nationalitätenproblem 2, 222; rennhofer, Ignaz Seipel, 606.
978 hanisch, Demokratieverständnis, 78 f.
979 SZ 19. 11. 1933 (R. KerschaGl).
980 Krause, CV, 107.
981 brucKmüller, Nation Österreich, 189; riedmann, Das Bundesland Tirol, 873 und 876–879.
6.7 HEIMATBEWUSSTSEIN VERSUS NATIONALISMUS 395
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580