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ten katholische und protestantische Deutsche gemeinsam an der Ostfront
gekämpft. Auch im Süden der Monarchie, etwa in Meran oder in Triest, sei
die evangelische Gemeinde die Stütze der „deutschbewussten Bevölkerung“
gewesen.1035
Richard Kerschagl hielt enge wirtschaftliche Beziehungen zwischen
Deutschland und Österreich für richtig, eine „planmäßige Verflechtung“,
doch unter Wahrung und Förderung der beiderseitigen Interessen. „Ös-
terreich, in seiner Doppelstellung als Glied wirtschaftlicher uralter Ver-
bindungen der Nachfolgestaaten einerseits, der Stammeszugehörigkeit zu
Deutschland anderseits, ist der gegebene Mittler Deutschlands nach Osten
und Südosten.“1036 Eine wirtschaftliche Autarkie Deutschlands hielt er für
ebenso wenig sinnvoll wie eine Abkapselung Österreichs: Dieses Land, so
der Experte für die Wirtschaftslage des Donauraums1037, habe zwar vielfäl-
tige, aber keine spezifischen Ausfuhrprodukte und sei folglich sehr konjunk-
turempfindlich; daher müsse es sich außenpolitisch nach vielen Seiten ori-
entieren.1038 In realistischer Einschätzung der wirtschaftlichen Folgen der
Zerschlagung der Monarchie für Restösterreich1039 wurde die Notwendigkeit
der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit der Donauländer
1936 in der MSchKP in differenzierter Weise thematisiert.1040
Franz Rehrl äußerte sich nicht explizit zur Frage des Anschlusses, aber
1930 würdigte er das Tauernkraftwerk als Wirtschaftsfaktor mitteleuropä-
ischen Zuschnitts; zwar diene es in erster Linie der Befriedigung des öster-
reichischen Energiebedarfs, aber es komme auch der deutschen Volkswirt-
schaft zugute: Das Unternehmen habe verbindende Kraft.1041
Alles in allem waren in den Reihen der politischen Protagonisten des
Ständestaates die Gegner des Anschlusses zahlreicher als die Befürworter.
Im Besonderen gilt dies für jene Österreicher, die 1938 ins amerikanische
Exil gingen.1042 An dieser Stelle sei ein in der wissenschaftlichen Literatur
wenig beachtetes Detail referiert: Die von Bundeskanzler Schuschnigg für
den 13. März 1938 anberaumte Volksbefragung über die politische Zukunft
Österreichs, die bekanntlich auf Druck der Nationalsozialisten nicht zu-
stande kam, wurde in drei Landgemeinden des Waldviertels, in denen die
1035 stoeKl, Die evangelische Kirche, 9.
1036 KerschaGl, Finanzwesen, 398 f.
1037 MSchKP 2, 904–912 (R. KerschaGl).
1038 SZ 28. 10. 1934, 4. 11. 1934 (R. KerschaGl).
1039 wiPPermann, Faschismus, 73.
1040 MSchKP 1, 778–788 (L. strobl).
1041 NR 28. 6. 1930 (F. rehrl); zu den Leistungen des Landeshauptmanns im Bereich der
Infrastruktur vgl. dohle, 150 Jahre, 32.
1042 ePPel, Österreicher 2, 274 und 453.
6.8 ÖSTERREICHBEWUSSTSEIN VERSUS NATIONALSOZIALISMUS 401
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580