Page - 412 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Image of the Page - 412 -
Text of the Page - 412 -
Volk, eine politische Größe in der Monarchie.1143 Aus diesem Grund ver-
wahrte sich August M. Knoll gegen das im zeitgenössischen Sprachgebrauch
häufige Wort „Ostmark“.1144 Obwohl er ein Verfechter von Österreichs „Kul-
turmission“ im Osten war, wünschte er das „Österreichertum“ in seiner
„Totalität“ zu erfassen: Er sehe daher „nicht nur die Ostmark-Idee, sondern
auch die europäische Idee“; Österreich sei „auch eine West-, eine Nord- und
eine Südmark, eine Brückenmark zwischen Ost und West, West und Ost,
zwischen Nord und Süd, Süd und Nord, [...] die „Herzmark Europas“.1145 Man
fühlt sich an Hugo von Hofmannsthal erinnert, der 1915 erklärte: „Öster-
reich ist gegen Osten und Süden ein gebendes, gegen Westen und Norden
ein empfangendes Land.“1146 Dieser Dichter prägte auch das Wort von Ös-
terreichs „Sendung im mitteleuropäischen Raum“1147, in jenem „Abendland“,
das auf den Säulen Antike, Christentum und Germanentum ruhe, das frei-
lich auch leicht mythisiert als Bollwerk christlich-deutscher Kultur in der
Tradition der Babenberger (rot-weiß-rot) beschrieben wurde.1148 Die spezi-
fisch christlichen Aspekte der Österreichidee kamen in der Zeitschrift Sturm
über Österreich von Kurt Schuschniggs Ostmärkischen Sturmscharen und in
den Gedanken Heinrich Matajas zum Ausdruck.1149
Schuschnigg, ebenfalls an der Idee des Reichs festhaltend1150, außerdem
als Zögling der Stella Matutina im respektvollen Umgang mit Menschen ver-
schiedenster Nationen geübt1151, bescheinigte dem alten Österreich, es habe
„für Jahrhunderte ein organisiertes Mitteleuropa geschaffen, das zwischen
den expansionistischen Kräften von West und Ost den verschiedensprachigen
mittel- und mittel-osteuropäischen Nationalitäten ein gemeinsames Obdach
und einen gemeinsamen Wirtschafts- und Kulturraum bot“. Das stärkste Bin-
deglied sei die Dynastie1152 gewesen, weiters Armee, Verwaltung und Kirche.
Den Staat aller Deutschen habe es nie gegeben, aber sie seien einst im Reich
vereinigt gewesen. Jetzt gehe es um die „überstaatliche Sphäre“ geistiger Ge-
meinschaft und „Kulturverbundenheit“. Im Bereich der Kultur habe Öster-
1143 connelly, From Enemy, 104; G. stourZh, Erschütterung, 301.
1144 suPPanZ, Österreichische Geschichtsbilder, 38–40.
1145 Knoll, Ziel, 6 f.; zum Bewusstsein von Österreichs Mittellage vgl. suPPanZ, Österreichi-
sche Geschichtsbilder, 124–126.
1146 Zit. nach fellner, Historiographie, 39; vgl. Potočnik, Bewusstsein, 140 f.
1147 Kromar, „Österreich-Mythos“, 43–51; höcK, Medienpolitik, 43 f.; suPPanZ, Österreichische
Geschichtsbilder, 114–118.
1148 PelinKa, Stand, 206 f.
1149 suPPanZ, Österreichische Geschichtsbilder, 41 und 92.
1150 hoPfGartner, Schuschnigg, 13, 36 und 68.
1151 hoPfGartner, Schuschnigg, 22.
1152 Zur Position der Habsburger im Ständestaat vgl. suPPanZ, Österreichische Geschichtsbil-
der, 103–109. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN412
back to the
book „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit"
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580