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Der bessere deutsche Staat
In den Reihen jener, die nach 1918 ihr Selbstverständnis als deutsche Ös-
terreicher in der Tradition der Monarchie sichtbar kultivierten1166, war
die Überzeugung, dass Österreich unabhängig bleiben müsse, um für das
Deutschtum wirken zu können, tief verankert1167, ja noch mehr: Österreich
galt als der bessere deutscher Staat.1168 Der Verbreitung dieser Idee diente
unter anderem die Schriftenreihe des Österreichischen Heimatdienstes, ei-
ner Propagandaorganisation der VF.1169
Wer sich diesbezüglich wenig exponierte, war Josef Eberle: Der Heraus-
geber der SZ glaubte darauf Rücksicht nehmen zu müssen, dass ein Groß-
teil seiner Leser im Deutschen Reich lebte.1170 Sein Bekenntnis zur öster-
reichischen Idee als Fortsetzerin der alten Reichsidee1171 war zwar fraglos
echt, das Bild seiner Person wird aber durch den Umstand getrübt, dass
er bestimmte Maßnahmen des Nationalsozialismus nicht in der gebühren-
den Weise verurteilte. Allerdings spricht für seine weltanschauliche Ferne
von diesem System, dass er sich in zentralen Fragen auf Max Scheler be-
rief.1172 Noch wenige Tage vor dem „Anschluss“ erklärte er, das „Deutschös-
terreichertum“ habe für das Gesamtdeutschtum sehr wichtige Dienste voll-
bracht.1173
Anton Klotz sprach von einem „deutsche(n) Beruf“ Österreichs, der darin
bestehe, „die Machtpsychose zu überwinden“. Der Totalitätsanspruch des
Nationalsozialismus zeige, „dass das österreichische Wesen jenes bessere
deutsche Wesen ist, an dem Europa genesen könnte“.1174 Die in manchen
Kreisen verbreitete Auffassung, Deutschland bedeute Fortschritt, Österreich
Rückschritt, führte er auf die Übermacht der liberalen Presse zurück.1175 Da-
her sei nicht „der Anschluss Österreichs an Deutschland“ für die deutsche
1166 G. stourZh, Erschütterung, 297.
1167 suPPanZ, Österreichische Geschichtsbilder, 21–23.
1168 v. hildebrand, Engelbert Dollfuß, 78; vgl. binder, Der „Christliche Ständestaat“, 222–225;
JaGschitZ, Ständestaat, 508; JanKe, „Österreich über alles!“, 338; Kindermann, Österreich,
85–89; schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 104; seefried, Reich, 42 f. und 223; tálos,
Handbuch, 485 (H. haas); tálos, Herrschaftssystem (2013), 74 f.; wohnout, Bürgerliche
Regierungspartei, 195.
1169 Kromar, „Österreich-Mythos“, 33 f.; staudinGer, Österreich-Ideologie, 37 f.
1170 SZ 19. 11. 1933 (J. eberle).
1171 Vgl. suPPanZ, Österreichische Geschichtsbilder, 92–98.
1172 SZ 9. 1. 1927; 27. 3. 1938 (J. eberle).
1173 SZ 6. 3. 1938 (J. eberle); ZieGerhofer-Prettenthaler, Schönere Zukunft, 407.
1174 KlotZ, Sturm, 42 und 54–56; zum Kontext vgl. hoor, Österreich, 77; Konrad/suPPanZ,
Legitimation, 74; staudinGer, Österreich-Ideologie, 28; steiner, Wahre Demokratie?, 201.
1175 KlotZ, Sturm, 19. 6.
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580