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Wesen des autoritären Kurses im Geiste unserer Verfassung, die nichts ge-
mein hat mit Totalität wie sie der Nationalsozialismus darstellt“.133 Auch die
volkswirtschaftlichen Vorteile der Selbstverwaltung wurden nicht überse-
hen: Der Staat könne viele Beamte einsparen, wenn er zentrale Agenden den
Berufsverbänden überlasse.134
In der Praxis erwies sich die Selbstverwaltung der Stände aber als reine
Worthülse135; es blieb bei Otto Enders 1933 abgegebener Erklärung, vorläufig
müssten leitende Stellen durch die Regierung besetzt werden.136 Otto Bauer,
der einer Ordnung im Geist von QA nicht abgeneigt gewesen wäre, sah hier Pa-
rallelen zum italienischen Korporativismus, die er nicht gutheißen konnte.137
Historische Reminiszenzen
Nach Aurel Kolnais Wahrnehmung war 1934 eine Gesellschaft im Entste-
hen, „die am Bilde anderer, archaischerer Wirtschaftsverhältnisse orientiert
ist“.138 In der Tat war die berufsständische Idee sozialen Modellen des Mittel-
alters verpflichtet.139 Der CS verwies auf die Parallelen zwischen Zunft und
Bruderschaft: Der Wille, Gott zu dienen, habe Vorrang vor dem wirtschaftli-
chen Zweck gehabt.140 Georg Moth erklärte naiv-unbefangen, der Ständege-
danke habe sich aus dem deutschen Handwerk entwickelt; Zunftordnungen
hätten die Rolle der modernen Sozialgesetzgebung übernommen.141
Karl Lugmayer hatte mit der Zunft ein durch das einträchtige Zusam-
menleben und -arbeiten von Meister und Gesellen konstituiertes Ganzes
vor Augen, in dem er gleich Othmar Spann eine „seelische Gemeinschaft“
sah142; auch in der Grundherrschaft glaubte er diese Harmonie verwirklicht
zu wissen.143 Es war das Bild der organisch-korporativen Ordnung des Tho-
133 Zit. nach stocK, „... nach Vorschlägen der Vaterländischen Front“, 62.
134 braun, Der politische Lebensweg, 289; K. luGmayer, Grundrisse, 174; K. luGmayer, Linzer
Programm, 58; KunschaK, Österreich, 145.
135 steiner, Wahre Demokratie?, 196.
136 PMR VIII/5, Prot. 912/2 (21. 12. 1933), 256.
137 O. bauer, Werkausgabe 7, 505–508.
138 Kolnai, Ideologie, 16.
139 StL 1931, 148 f. (F. mücK); Pasteur, Kruckenkreuz, 29.
140 CS 4. 11. 1934 (M. A. adler).
141 moth, Neu-Österreich, 82.
142 sieGfried, Universalismus, 58.
143 K. luGmayer, Leos Lösung, 41 f.; K. luGmayer, Grundrisse, 177; vgl. bohn, Ständestaats-
konzepte, 20; burGhardt, Das berufsständische Experiment, 225; schachner, Wirtschaft,
183–187; senft, Im Vorfeld, 61. 7. DIE BERUFSSTÄNDISCHE
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580