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haftigkeit, von der auch Johannes Messner überzeugt war.326 Wie tief Raab
in das Wesen der ständischen Idee eingedrungen war (oder dies in der spä-
teren Rückschau jedenfalls getan zu haben glaubte), wie viel mehr als eine
bloße wirtschaftliche Interessenvertretung die Kammerorganisation für ihn
bedeutete, brachte er 1946 in seiner Antrittsrede als Präsident der Bundes-
kammer der gewerblichen Wirtschaft zum Ausdruck.327
Andere Zeitgenossen äußerten sich zu den Kammern von Anfang an posi-
tiv. Oskar von Hohenbruck hielt sie für eine geeignete Basis des berufsstän-
dischen Aufbaus.328 Jakob Stoiber bezeichnete jene für Landwirtschaft als
„berufsständische“ Organisationen.329 Eduard Strauss beschrieb die Kam-
mern – mit Blick auf jene für Handel, Gewerbe und Industrie – zwar als In-
teressenvertretungen, glaubte aber sagen zu können, dass sie „für das nötige
Miteinander“ sorgten.330 Hans Karl Zeßner-Spitzenberg würdigte das Fak-
tum, dass es in der Tiroler Landwirtschaftskammer auch eine Vertretung
der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer gab, als ständischen Ansatz.331 Wil-
helm Taucher versuchte den Gegensatz der neu geschaffenen Bünde zu den
älteren Kammern zu übertünchen, indem er deren bisherige Arbeit lobte,
weil sie einen gesunden Ausgleich zwischen Einzel- und Gesamtinteresse
gefunden hätten; die in Ausarbeitung befindlichen Berufsständegesetze näh-
men klare Unterscheidungen zwischen innerständischen und gemeinsamen
Agenden vor.332 Josef Dobretsberger verband die Warnung vor einer „allzu
künstlichen Neuorganisation des Wirtschaftslebens“ mit dem Rat, auf be-
währte Einrichtungen wie Kammern zurückzugreifen.333 Auch der CS trat
für diesen Gedanken ein.334 Man sieht also: In gewisser Hinsicht waren die
Berufsstände als ideelle Gemeinschaften bereits vorhanden, traditionsreiche
Verbände, die vom Staat nur noch zu aktualisieren gewesen wären.335
Mit dem „Kammerumformungsgesetz“ von 1935 wurde der Bestand der
Kammern vorläufig gesichert. Allerdings verloren sie durch die Berufung
von Regierungskommissären an die Spitzen wichtige Kompetenzen. Eine
326 Klose, Geistige Grundlagen, 59; Klose, Berufsständische Ordnung, 199.
327 heindl, Julius Raab, 24; vgl auch raab, Ansichten, 237.
328 v. hohenbrucK, Zur Frage, 12 f.
329 stoiber, Agrarrecht, 24.
330 strauss, Wirtschaftsförderung, 43.
331 H. K. Zeßner-sPitZenberG, Agrarrecht, 33, Anm. 1; vgl. ebd., 35 f.
332 CS 14. 7. 1935 (W. taucher).
333 SZ 16. 12. 1934 (J. dobretsberGer).
334 CS 14. 1. 1934 (E. Prettenhofer).
335 hoor, Österreich, 113 f.; huber, Die Verfassung, 27 f.; Klose, Quadragesimo anno, 27 f.;
tálos, Herrschaftssystem (2013), 125; unterrainer, Wirtschaftspolitik, 52; kritischer emin-
Ger, Politik, 304. 7. DIE BERUFSSTÄNDISCHE
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580