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Staat kennzeichnende Trennung von Staat und Gesellschaft von fast allen
maßgeblichen Denkern für notwendig befunden. In der Gesellschaft besitze
die Person den Freiraum, den sie zur Entfaltung ihres Wesens brauche. Auf-
gabe des Staates sei es, diesen zu schützen und ausgleichend zu wirken; ein
Staat, der in die Privatsphäre seiner Bürger eingreife, sei – so mit Blick auf
Faschismus und Nationalsozialismus – ein totalitärer Staat.12 Ein solcher
hätte der österreichische Ständestaat aber schon deshalb nicht sein können,
weil seine Träger dem christlichen Personalismus und der katholischen So-
ziallehre eng verbunden waren. Dieser Umstand machte den Kult eines sä-
kularen Staates gleichermaßen unmöglich wie die für den Faschismus cha-
rakteristischen imperialistischen Züge.13 Die internationale Forschung hat
dies klarer erkannt als die österreichische: „Austria’s leaders never aspired
to total rule.“14
Mehr Aufmerksamkeit als anderen Ständetheoretikern wurde Othmar
Spann geschenkt. Dies ist der Komplexität seines Denkens und der Faszi-
nation, die es auf die Zeitgenossen übte, zuzuschreiben. Nach sorgfältigem
Abgleich seiner Positionen mit den von den Gestaltern der österreichischen
Politik vertretenen ist der Akzent freilich eher auf die Heterogenität, ja
mangelnde Kohärenz seines Systems zu setzen: Parallelen im Denken vieler
politisch maßgeblicher Zeitgenossen wurden hinsichtlich des umfassenden
Verständnisses von „Stand“, teilweise auch hinsichtlich des Faktors „Un-
gleichheit“ in der Gesellschaft sichtbar, worin diese dem Wiener Professor
aber nicht folgten, war dessen überragende Bewertung des Staates, die der
christlichen Gesellschaftslehre und den gleichsam eisernen Beständen des
Personalismus widersprach. In festen Hierarchien dachten beide, der Unter-
schied lag aber darin, dass die Gesellschaft für Spann von oben nach unten,
für die christlichen Sozialtheoretiker nach dem Subsidiaritätsprinzip von
unten nach oben strukturiert sein sollte.
Zahlreiche Gleichklänge wurden hingegen im Denken Richard Nikolaus
Graf Coudenhove-Kalergis, des Begründers der Paneuropa-Bewegung, sicht-
bar, dessen brillante essayistische Sprachkunst viele Gedanken zwar nicht
in der Substanz anders, aber doch pointierter vermittelte als der entweder
nüchtern-professorale oder literarisch-publizistische Duktus der eigentli-
chen Bezugspersonen der Studie – und ihnen überdies eine über Österreich
weit hinausgehende Relevanz verlieh.
Von den einleitend angesprochenen Kategoriensystemen, die die Soziolo-
gie zur Beschreibung der Struktur menschlicher Gesellschaften anwendet,
12 Paxton, Anatomie, 212 und 316.
13 falle, Wurzeln, 23; hanisch, Der lange Schatten, 312.
14 connelly, From Enemy, 105.
9. RESÜMEE: STATUS IST ORDO 531
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580