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II. 1848 – ein Wendepunkt
für die österreichische Bürokratie?
Österreichs Geschichte ist das merkwürdigste Beispiel einer solchen alles überwachsenden
„Bekünstelung“, die zuletzt von den lebendigsten Völkern nichts übrig ließ als die
Todesstarre seiner Bureaukratie.
(Hermann Bahr)
In der Revolution von 1848 sollte die gesellschaftliche Zugehörigkeit der Büro-
kratie deutlich zutage treten. Die höheren und selbst die kleinen Beamten stellten
unter Beweis, dass sie nicht nur bürgerliche Beamte geworden waren, sondern
auch die politischen Ziele des Bürgertums mittrugen.35 Ein nicht geringer Teil
der Revolutionäre und Sympathisanten der Erhebungen kam aus den Reihen der
gebildeten Bürokratie, die, wie wir feststellen können, von den Kernstücken der
bürgerlichen Ideologie des 19. Jahrhunderts, Liberalismus und Nationalismus,
nicht unberührt geblieben war. Die im Sinn der anationalen Staatsdoktrin erzo-
gene und dieser streng verpflichtete Beamtenschaft war trotzdem sowohl liberal
als auch national geworden.
Es nimmt wunder, wie die Beamtenschaft im österreichischen Kaiserstaat, die
strenger als alle anderen Staatsbürger von einer absolutistisch regierenden Ob-
rigkeit gegängelt, kontrolliert und zensuriert wurde, zu diesen verbotenen Ideen
kam.
Der österreichische Liberalismus ist wie fast überall in Europa ein Kind der
Aufklärung. In der österreichischen Monarchie sind seine Wurzeln im Josephinis-
mus zu suchen. In der späten maria-theresianischen Zeit und besonders im jose-
phinischen Jahrzehnt hatte sich eine Reformbewegung formiert, die vorwiegend
aus aufgeklärten adeligen und bürgerlichen Beamten und Literaten bestand.36
Verschiedenartige Vorstellungen von Bildungs-, Wirtschafts- und Staatsreformen
35 Zum Folgenden HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 209–218; WOLFGANG HÄUSLER,
Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demokratie und soziale Frage in der Wiener
Revolution von 1848 (Wien 1979), S. 174–178.
36 Siehe zum Folgenden HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 64–85 und 101–138.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277