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V. Das soziale Umfeld
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3. Verbindende Gemeinsamkeiten – Amtsstil, Kanzlei-
sprache und die Architektur der Amtsgebäude
Die Garantien der Macht und Einheit Oesterreichs (Joseph von Eötvös)
Trotz aller hierarchischen Kontraste in den Rängen, trotz Verschiedenheiten der
Ämter, trotz der stark differenten inneren prunkvollen oder ärmlichen Ausstat-
tung der Amtsgebäude – es gab nach außen für das Publikum Gemeinsamkeiten,
die diese inneren Unterschiede für „das Volk“ unsichtbar machen und Einheit
demonstrieren sollten: Das war der besondere Amtsstil, der den österreichischen
Behörden in der Behandlung der Aktenmaterie in schriftlicher und mündlicher
Form eigentümlich war, das war die österreichische Kanzleisprache und die Archi-
tektur der Amtsgebäude, die erkennbar k. k. zu sein hatten.
Für Josef Redlich stellte sich der Stil „des Amtes“ der 1870er-Jahre gewisserma-
ßen würdig dar. „In diesen Ämtern“, so Redlich, „gab es keine moderne Nervosi-
tät, gewiss keine Hast, vielmehr doch schon ein zu langsames Handeln, das aber
von dem Bewusstsein getragen wurde, dass alles, was dieser dem Volke nächster
Träger der Staatsgewalt tue, wohlüberlegt und in fester Gesinnung des aufrechten
Mannes getan werden müsse.“328
Seit 1781, dem Erscheinungsjahr des Buches „Geschäftsstyl“ des aufgeklärten
Hofrates der Hofkanzlei und Professors der politischen Wissenschaften Joseph
Freiherr von Sonnenfels, das für die Absolventen der Jurisprudenz des vierten
Jahrganges bis 1848 immer noch als Lehrbuch verwendet wurde,329 waren für den
Kanzleidienst, für Aktenerledigung, behördliche Schreiben, Registratur, Ablage
etc. einheitliche Regeln vorgeschrieben. Sie sollten unter anderem die Gleichför-
migkeit jeder Verwaltungstätigkeit beweisen. Im Übrigen gab Sonnenfels genaue
sprachliche Anweisungen für die Aktenerledigung. Der sogenannte einheitliche
ministerielle Stil wurde bis zum Ende der Monarchie beibehalten. Verwaltung
wurde so zumindest nach außen hin – diktiert von einem (vor)rechtsstaatlichem,
Denken – rein formal beamteter Willkür entzogen. Gleichzeitig garantierte die
starre, geradezu byzantinisch wirkende Regelhaftigkeit das Ansehen des hoheits-
rechtlichen Aktes der Verwaltung und stellte eine Demonstration von Macht der
Obrigkeit dar.
328 REDLICH, Schicksalsjahre Österreichs 1, Erinnerungen, S. 65.
329 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 126–138; siehe auch Kapitel „Amtsroutine, Akten und büro-
kratische Skurrilitäten“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277