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VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes
„So oft man in der Fremde an dieses Land dachte, schwebte vor den Augen die Erinnerung an
die weißen, breiten, wohlhabenden Straßen aus der Zeit der Fußmärsche und Extraposten, die
es nach allen Richtungen wie Flüsse der Ordnung, wie Bänder aus hellem Soldatenzwillich
durchzogen und die Länder mit dem papierweißen Arm der Verwaltung umschlangen.“
(Robert Musil)
Niemand beschrieb eindrucksvoller und poetischer als Robert Musil zu Beginn
des Kakanienkapitels im „Mann ohne Eigenschaften“ den Eindruck, den Ver-
waltung und Bürokratie der franzisko-josephinischen Epoche bei aufmerksamen
Zeitgenossen erweckte:601 Die Verwaltung und ihre Bürokratie „umschlangen“ die
österreichische Reichshälfte, das heißt: Sie waren es, die (für Musil) das Reich
zusammenhielten. Musil bestätigt damit die Feststellung, die von einer ganz an-
deren Disziplin, nämlich vom Verwaltungsjuristen Karl Brockhausen ausgespro-
chen wurde, der meinte, die Verwaltung hielte Österreich zusammen, während
es das Staatsrecht zerreiße.602 Die Funktionsträger der Verwaltung hatten die
Aufgabe, kraft ihres Amtes die Gesetze, die Verordnungen, Erlässe, Amtsverfü-
gungen, Regeln, Normen etc. durchzuführen, die seit Jahrhunderten entwickelt
wurden und für Ordnung und Zusammenhalt sorgen sollten. Seit den absolutis-
tischen, genauer seit den maria-theresianischen und josephinischen Zeiten wa-
ren diese äußerst ausführlich, klar und deutlich ausgefeilt. Lesen wir die Hand-
und Gesetzesbücher, so haben wir den Eindruck, dass manchmal des Guten zu
viel getan wurde, aber gerade die absolutistische Regierungsform verlangte nach
dem Anschein der Gesetzmäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Absolutismus und
Rechtsstaat schließen einander nicht notwendigerweise aus.603 Blicken wir in das
zehnbändige (inklusive Ergänzungs- und Indexbände) Werk von Mayrhofer-
Pace, „Handbuch des politischen Verwaltungsdienstes für die im Reichsrathe
601 MUSIL, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 32.
602 Es war das Motto der Schrift KARL BROCKHAUSENs, Österreichische Verwaltungsreformen,
zit. von GOLDINGER, Die Zentralverwaltung in Cisleithanien, S. 111.
603 HANS-JOACHIM TORKE, Das russische Beamtentum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 13 /1, Berlin 1967), S. 20.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277