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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
5. Nationale Illustrationen
„Wozu nun das vergebene Aufstreben nach einer Empfindung, die wir weder haben können
noch mögen? Römerpatriotismus? Davor bewahre uns Gott wie vor einer Riesengestalt.“
(Johann Wolfgang von Goethe)
Über die sogenannte nationale Frage sind in der Historiografie aller ehemaligen
Nationen der österreichisch-ungarischen Monarchie, die damals offiziell Nationa-
litäten hießen, zahlreiche Studien erschienen, die heute Bibliotheken füllen.61 Für
die Bürokratie in allen Instanzen bildete der Nationalismus eine Herausforderung
besonderer Natur. Einerseits war es ihr ureigenes Gebiet, nationale Streitigkeiten
zu melden, zu beurteilen, Gutachten zu schreiben, letztendlich Entscheidungen
zu fällen, andererseits wurde für die Beamten selbst eine Zugehörigkeit, eine na-
tionale Identität, zum Existenzproblem. Im Folgenden soll es um Einstellungen
und Haltungen von Beamten, die Atmosphäre in Behörden und Ämtern, um die
Identitäten und die Sprachenfrage mit ihren sozialen Implikationen gehen.
Der Paragraf 19 des Staatsgrundgesetzes von 1867 über die Gleichberechti-
gung der Nationalitäten62 schuf die legale Grundlage, dass sich in völlig legitimer
Weise sowohl die Zahl der Minister aus den verschiedensten nationalen Gruppen
als auch die ihrer Beamten vermehrte. Denn jeder Minister anderer als deutsch-
österreichischer Nationalität, der in das Zentrum der Verwaltung nach Wien
kam, brachte eine Schar konationaler Beamter mit sich. Die Zentralstellen, die
in den höheren Rängen traditionell von deutschsprachigen Beamten dominiert
worden waren, wurden gegen Ende des Jahrhunderts längst nicht mehr nur von
deutschsprachigen Beamten, sondern von Beamten anderer Nationalitäten, vor
allem von polnischen und tschechischen Beamten, besetzt.63 Das Finanzministe-
61 Neuerdings zu diesem Problem in ihren wesentlichen Zusammenhängen sehr übersichtlich, weil
der Blick von außen eine Zusammenschau erleichtert, ANDREAS GOTTSMANN, Rom und
die nationalen Katholizismen in der Donaumonarchie. Römischer Universalismus, habsbur-
gische Reichspolitik und die nationalen Identitäten 1878–1914 (= Publikationen des Historischen
Institutes beim österreichischen Kulturforum in Rom I. Abteilung, Band 16, Wien 2010).
62 BERNATZIK, Verfassungsgesetze, S. 426.
63 GOLDINGER, Die Wiener Hochbürokratie, S. 310–333; WALTER GOLDINGER, Das
polnische Element in der Wiener Hochbürokratie (1848 – 1918). In: Studia Austro-Polonica,
hg. von Józef Buszko und Walter Leitsch 1 (= Universitas Jagellonica Acta Scientiarium Lit-
terarumque 482, Warschau/Krakau 1978), S. 63–83; PIOTR FRANASZEK, Polen als Finan-
zminister in der österreichisch-ungarischen Monarchie und ihre Rolle im Wirtschaftsleben des
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277