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I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche
Meinungen preiszugeben. Der Rest ist Schweigen und die Reproduktion standar-
disierter, klischeehafter Muster!
Doch was ist in den Mitteilungen Dichtung, was Wahrheit? Was und warum
wurde vergessen, verdrängt, bewusst gelogen? Jedenfalls produzierten die Beamten
mit ihren Erinnerungen weitgehend ihr eigenes Selbstbild, das naturgemäß von
vielen Stärken und wenig Schwächen, von vielem für sie Vorteilhaftem und wenig
Nachteiligem spricht. Dafür müssen wir ihnen dankbar sein. Denn sie schufen
damit eine zweite Realität: einen Mythos, der ebenso nachhaltig wirkt wie die
vergangenen Realitäten.13 Denn Literatur und Film waren von diesem Selbstbild
fasziniert, sie reproduzierten und versahen so die Bürokratie Cisleithaniens aus-
giebig mit höheren Weihen, indem sie entweder skurrile, leicht dümmliche (doch
liebenswerte) Beamtentypen oder den korrekten, vielleicht ein wenig leblosen,
doch bis zum Tod tugendsamen Beamten der franzisko-josephinischen Zeit kre-
ierten.14 Sie haben dabei freilich so manches Mal das Ideal mit der Realität der
Beamtenexistenzen verwechselt und damit den Typus des „Beamten-Helden“ ins
Leben gerufen, der das Bild der Bürokratie der Monarchie bis heute prägt. Man
vergaß darüber, dass die Staatsdiener wegen so mancher Unzulänglichkeiten von
Zeitgenossen heftig kritisiert worden waren.
Doch auch die Beobachtung dieser zwei Realitäten – Mythos und Wahrheit
der Bürokratie –, die Feststellung der Kongruenz oder der Widersprüche ist faszi-
nierend. Es öffnet sich eine Tür nach der anderen, Säle, die man durchschreiten,
Inszenierungen, die man beobachten muss.
3. Definitionen, Details und Daten
„Ja, das ist ein Beruf für Österreicher, was man als Beamter nur für Beziehungen bekommt
und wie sich alle Welt um einen Beamten reißt!“ (Otto Friedländer)
Otto Friedländer (1889–1963), kein Staatsbeamter, aber ein Beamter der Wiener
Handelskammer der Ersten Republik, liefert uns dieses typische Beispiel einer
rückblickend enthusiastischen – wenn auch ironischen – Charakterisierung der
13 ROLAND BARTHES, Mythen des Alltags (Frankfurt am Main 1983).
14 Kritisch zur Literatur neuerdings die Analyse von SABINE ZELGER, Das ist alles viel kompli-
zierter, Herr Sektionschef! Bürokratie – literarische Reflexionen aus Österreich (= Literatur und
Leben, Neue Folge, 75, Wien/Köln/Weimar 2009).
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277