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V. Das soziale Umfeld
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waren), verblassten allerdings gegenüber den Rangunterschieden und, so können
wir der Memoirenliteratur entnehmen, prägten das Alltagsleben im Amt und die
Zusammenarbeit unter der Beamtenschaft weit weniger, als dies die Nationalitä-
tengeschichtsschreibung im Allgemeinen wahrhaben wollte.308 Das Beamtenethos
verbot, dass nationale Differenzen offen ausgetragen wurden. Das blieb den Abge-
ordneten des Reichsrats überlassen.
Obwohl das Amt vom Privatleben streng getrennt wurde, gab es doch einige
Überschneidungen, die vom Amt bestimmt waren und die auch im privaten
Alltag eingehalten zu werden hatten. Für die verheirateten Beamten gehörte es
vor allem in den Hauptstädten der Königreiche und Länder zum guten Ton, am
Sonntag zwischen elf und zwölf Uhr mit ihren Ehefrauen Besuche in den „Be-
amtenhäusern“ zu machen. Gegen Ende der Epoche der Monarchie wurde frei-
lich besonders an der Peripherie des Reiches die strenge Etikette aufgeweicht.309
Manchmal, so entnehmen wir den zeitgenössischen Berichten, entwickelten sich
auch freundschaftliche Beziehungen unter den Beamten (selbstverständlich auf
der gleichen Stufe) und man traf sich in Gasthäusern, besonders an den Rändern
des Reiches, wie in Bosnien, wo der adäquate gesellschaftliche Umgang etwas be-
schränkt und die Regeln lockerer waren.310
Arbeitszeit und Amtsräume
Seit Ende des 18. Jahrhunderts betrug die Arbeitszeit sechs Stunden, aus heutiger
Sicht eine wohl nicht allzu drückende Last für die Bürokratie, gegen die Jahr-
hundertwende wurde sie auf die heute üblichen acht Stunden ausgedehnt. Wie
diese Amtsstunden angeordnet wurden, dürfte weitgehend vom jeweiligen Amts-
vorstand bestimmt worden sein – und je höher der Rang, desto unabhängiger
war man. Sehr oft waren die Amtsstunden geteilt, vormittags von 9 bis 12 Uhr,
nachmittags von 15 bis 18 Uhr, später von 8 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr,
damit genügend Zeit zum Mittagessen am Familientisch verblieb.311 Doch in vie-
len Ämtern setzte sich die kontinuierliche Arbeitszeit durch. Der Sektionschef
im Finanzministerium Gustav Höfken berichtet uns von einer Arbeitszeit in den
1850er- und 1860er-Jahren von 8 bis 15 Uhr, in der er diese durch ein frugales
308 Siehe auch Kapitel „Nationale Illustrationen“.
309 Für Wien KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 29 f.; EHRHART, Im Dienste,
S.
66; für die Provinz BAŠE. In: VOŠALÍKOVÁ, Von Amts wegen, S. 230.
310 BAŠE. In: VOŠALÍKOVÁ, Von Amts wegen, S. 229.
311 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 246–252; EHRHART, Im Dienste, S. 66.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277