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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
die ihre politische und gesellschaftliche Rolle im neuen Verfassungsstaat außeror-
dentlich erschwerte. Grundsätzlich sollte sich die Bürokratie unpolitisch verhalten.
Die oberste Maxime des Beamtenkodex erforderte höchste Objektivität und Ge-
setzestreue, zu der die Enthaltung von politischer Beteiligung, ja möglichst von po-
litischen Einstellungen überhaupt gehörte. Diese Tugenden, Objektivität und Ge-
setzestreue, sollten den Beamten zur strengen Ausübung des Dienstes verpflichten:
Dazu gehörte, keinen Versuchungen nachzugeben, auch eigene egoistische Inte-
ressen sowie jene von Familie und Freunden hintanzustellen, und das Gesetz wenn
nötig auch gegen die eigene persönliche Meinung und die der jeweiligen Autorität
– dazu war er ja unkündbar (pragmatisiert) – zu befolgen. Allerdings war das Feld
der Interpretation von Gehorsamspflicht und persönlicher Verantwortlichkeit weit
und offen. Zwischen den diesbezüglichen Erwartungen, die etwa in früheren Zei-
ten ein Kaiser Joseph und ein Kaiser Franz an die Beamten richteten, lagen Welten:
der erste forderte Verantwortlichkeit als erste Pflicht (zumindest auf dem Papier),
der zweite den „gehorsamen Untertan“.15 Zwischen diese beiden widersprüchlichen
Pole, dem rastlos wirkenden Diener des Staates und dem „getreuen Untertan“,
waren die Beamten seit der Ausbildung von Beamtenkodex und Dienstpflichten
gestellt, und es kam auf die jeweilige Autorität an, welcher dieser Beamtentugen-
den sie den Vorzug gab. Für den jungen Franz Joseph schien grundsätzlich und
unumstößlich gegolten zu haben, dass sich „seine“ Beamten ihm gegenüber loyal
zu verhalten hätten, in seinem Sinn handelten. Allerdings musste er im Laufe der
Zeit die Erfahrung machen, dass im Verfassungsstaat andere Loyalitäten für die
Staatsbürger und somit auch für Beamte an Bedeutung gewannen.
3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und
Staat – Nation/en und Partei/en
„Virtus ist nicht allein beim Fürsten, sondern auch bei den Untertanen notwendig.“
(Justus Lipsius)
Loyalitäten sind untrennbarer Teil des Berufsethos der Beamten und prägten/prä-
gen ihre Identität. Vom Fürstendiener wurde unbedingte Treue gegenüber dem
15 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 22f. und 50f. Über die Haltung der Bürokraten zu den Re-
formen in der Ära des Staatgrundgesetzes und in den folgenden Jahrzehnten ausführlich DEAK,
The Austrian Civil Service, S. 167–233.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277