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V. Das soziale Umfeld
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galt auch der kleine Beamte eher als (gut-)bürgerlich als in der Stadt oder gar in
der Großstadt, wo es viele reiche und gebildete Großbürger gab.
Soziale Distinktionen: Ausbildung, Karriere und Rekrutierung
„Das Amt“, die feinsäuberliche Einteilung in Rang- und Gehaltsklassen, die Aus-
bildung, Bildung, Karriere, Anciennität sowie Herkunft waren die wichtigsten
Kriterien, die die Position im beruflichen wie auch im privaten Leben bestimm-
ten.
Das hervorragende und zugleich einfachste Mittel in diesem vornehm abschat-
tierten Komplex der sozialen Distinktion im beamteten Leben war – worauf das
obige Zitat Friedländers hinweist – die Bildung. Seit 1800 war die Vorbedingung
für die Aufnahme in den höheren Dienst, den Konzeptdienst, die Absolvierung
eines Studiums, vorzugsweise an der juridischen Fakultät.265 Da die Ausbildung
an den Universitäten – zumindest in der Theorie – allen sozialen Gruppen offen-
stand, war die Bildung wie bereits in früheren Zeiten266 auch in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts wie übrigens auch im 20. Jahrhundert ein Mittel des bürger-
lichen Aufstiegs, und nicht selten kamen auch hohe Beamte aus nicht begüter-
ten oder gebildeten Schichten – ein Umstand, der die Differenzierung unter den
Bürokraten auch nach der Herkunftsfamilie förderte. Die Frage, ob und in wel-
cher Weise die Stätten der Ausbildung, Gymnasium und Universität, die Beamten
in ihrer geistigen Orientierung prägten, ist ein wichtiges Thema, das in einem
späteren Zusammenhang zu diskutieren sein wird.267 Beamte, die kein Studium
vorweisen konnten, wurden mehr oder weniger als Kanzleibeamte angesehen. Im
Übrigen spielte in der bürokratischen Hierarchie die Differenz Oberbehörde –
Unterbehörde eine große Rolle. Ein Finanzlandesdirektor in einer Provinzhaupt-
stadt musste sich unter Umständen gegenüber einem jungen Konzipisten im Prä-
sidium des Finanzministeriums, der im Rang weit unter ihm stand, demütigen
Ritualen unterwerfen, wollte er vorgelassen werden.268
Söhne aus nicht wohlhabenden Verhältnissen profitierten vom Studium. Wie
sehr sie dadurch zu Ehren – wenn auch nicht zu hohem Einkommen – kamen,
zeigt geradezu bildhaft der Aufstieg der Vorfahren des Ministerpräsidenten Max
265 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 43 ff.
266 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 196 f.
267 Siehe Kapitel „Typisch josephinische Beamteneliten“.
268 Ein solcher Fall wird von KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 34 f., geschildert.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277