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V. Das soziale Umfeld
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2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die
kleinen grossen Unterschiede
„Ich sehe doch, wie ihr euch alle anstrengt, um herauszufinden, wer die Leute um euch herum
und wie die Verhältnisse sind – als ob die Leute und die Verhältnisse an sich so oder so wären!“
(Luigi Pirandello, So ist es – wie es Ihnen scheint)
Innerhalb des bürokratischen Apparates allerdings galten spezifische Gesetze. Hier
wurde nicht mit der Richtschnur bürgerlich, großbürgerlich oder kleinbürgerlich
qualifiziert. Hier galt die strenge Hierarchie, das heißt die Rangordnung im bü-
rokratischen Apparat. Friedländer lässt uns an der nuancierten Unterscheidung
innerhalb der Bürokratie – in seiner ironischen Form – plastisch teilhaben:
„Es ist natürlich zwischen den einzelnen Beamtenberufen ein großer Unterschied
in der Wertung: Am höchsten stehen die Ministerien im Kurs, über allen natürlich
das ,Äußere‘; dann kommen die sogenannten politischen Beamten bei den Statthal-
tereien, dann die Richter, Finanzbeamten, Lehrer. Einen Grundunterschied gibt es
natürlich: Konzepts- und Kanzleibeamte. Da liegt eine Welt dazwischen. Die einen
haben Hochschulstudien, die anderen nicht. Wer kein Hochschulstudium hat, kann
niemals in die höheren Ränge aufsteigen, er bekommt niemals einen höheren Titel,
mit dem er sich sehen lassen kann.“261
Allein diese zeitgenössische feine Differenzierung der Beamtengruppierungen
warnt uns vor sozialen Pauschalierungen. Die delikat abgestufte Beamtenhierar-
chie sorgte für die entsprechenden sozialen Distanzen. Je höher der Rang, desto
größer die Distanz. Beruflich auf diese Weise vorgeprägt, ist es also kein Wunder,
dass die hohe Bürokratie einen besonderen „Sinn für Distinktion“ – im Sinn von
Pierre Bourdieu262 – entwickelte. Sie war bestrebt, durch kulturelle Gewohnhei-
ten, ästhetischen Geschmack sowie Demonstration von herkömmlichen Tradi-
tionen und Einhaltung der moralischen Ordnung, die der Elitekultur der Zeit
entsprechend zum gutbürgerlichen Ton gehörten, den Abstand zu anderen ge-
sellschaftlichen Gruppen deutlich zur Schau zu stellen. Selbstredend bedingte das
Bemühen um Distanz ein gerüttelt Maß an Selbstdarstellung. Nichts dokumen-
tierte die Hierarchie innerhalb der Beamtenschaft in der Öffentlichkeit deutlicher
261 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 74.
262 BOURDIEU, Die feinen Unterschiede, S. 405.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277