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heit und beschrieb die Grundidee des Kommunismus, wonach es keine Aus-
beuter und Ausgebeutete geben sollte, sondern Kommunikation unter Gleichen
angestrebt werde, als »utopisches Ideal«12. Sie selbst praktiziere einen »idealisti-
schen prächristlichen Vulgärmarxismus« :
»Wenn alles nach rechts rennt, möchte man, daß wenigstens einige Leute nach links
rennen. Aber Sozialist kann man nur dort sein, wo Sozialismus keine Staatsform ist.«13
Fern jedweder politischen Positionierung soll nun in der vorliegenden Studie auf
systematische, detaillierte und textnahe Weise und unter Rückgriff auf fundiertes
zeithistorisches Wissen der Nachweis erbracht werden, dass die Kritik am öster-
reichischen Opfermythos eines der zentralen Themen in Jelineks literarischem
Werk darstellt, das die Autorin über die explizite Thematisierung hinaus vor al-
lem implizit, auf einer intertextuellen, metasprachlichen Ebene realisiert. Zwar
mag dieses Vorhaben angesichts der überwältigenden Fülle an Sekundärtexten
als obsolet erscheinen, tatsächlich fehlt aber bei den bisher geleisteten Analysen
zu diesem Themenkomplex, ob sie nun aus dem deutschsprachigen Raum (Mar-
lies Janz, Christa Gürtler, Pia Janke u. a.) oder aus dem nicht-deutschsprachigen
Raum (Allyson Fiddler, Monika Szczepaniak u. a.) kommen, die systematische
Engführung mit gegenwärtigen zeithistorischen Theorien zu Faschismus und
Nationalsozialismus, aber auch zu innerösterreichischen Gedächtnisdiskursen,
die ungeahnte Möglichkeiten zum besseren Textverständnis von Jelineks stark
ästhetisierter Literatur über die Grenzen geisteswissenschaftlicher Fachkreise
hinweg auch für eine interessierte Leserschaft bereithält. In diesem Sinne wird
in dem vorliegenden Buch nach einigen notwendigen Diskussionen um die Ter-
mini Operandi zunächst zu Jelineks biografischen und künstlerischen Anfängen
zurückgeblättert, um sowohl die methodische Entwicklung des fokussierten
Themas als auch dessen zentrale Bedeutung im Gesamtwerk besser demonst-
rieren zu können.
Mit ihrem speziellen ästhetischen (Selbst-)Verständnis und ihren innovativen
Methoden steht Jelinek in der Tradition avantgardistischer und experimenteller
Literaturtraditionen des 20.
Jahrhunderts. Vor allem die Nähe zu den Techniken
des Wiener Aktionismus und der Wiener Gruppe ist deutlich erkennbar. Ihr fa-
vorisiertes Textherstellungsverfahren ist die Destruktion, die als »Zerschlagung«
und »Zerstörung« das Gegenstück zum erfinderischen, kreativen Akt (gemein-
hin die erwartete Leistung von Literatur) darstellt : Dabei collagiert und mon-
tiert sie Sprachmaterial aus unterschiedlichsten Bereichen (etwa aus politischen
12 Dies., zitiert nach : Kerschbaumer, Für mich hat Lesen etwas mit Fließen zu tun, S. 146.
13 Dies., zitiert nach : Venckute, Lust, unpaginiert.
14 | Einleitung
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319