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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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unter passiert es, dass der Vater tagelang nicht spricht  – aus Trotz und zur Be- strafung.272 Zudem scheint er von der Erfahrung traumatisiert zu sein, dass er als Kunststoffexperte im Krieg jenem Regime zuarbeiten musste, das sich die physische Vernichtung der Juden auf die Banner geschrieben hatte. Viele der jüdischen Familienmitglieder waren während der NS-Zeit ermordet worden.273 Schon als Kind muss die Tochter den Vater in die Filme der Alliierten begleiten, in denen die Leichenberge aus den Konzentrationslagern gezeigt werden. Die Bilder verstören das Kind und prägen sich ihm ein.274 Als Dreizehnjährige wird Elfriede als jüngste Studentin für das Orgelstu- dium am Wiener Konservatorium aufgenommen. Nur ein Jahr später bewirbt sie sich außerdem für das Klavierstudium. Nebenbei lernt sie noch Bratsche, Gitarre, Blockflöte und Geige. Der Vater ist inzwischen schwer erkrankt, verliert seine sprachliche Eloquenz, ist verwirrt, orientierungslos, leidet möglicherweise an einer Form der Alzheimer-Krankheit.275 Die Unmöglichkeit, sich mit dem Vater austauschen zu können, drückt Elfriede noch mehr nieder. Für sie ist der Vater »von einem unglaublich klugen Menschen zum völligen Idioten geworden. Das verzeiht eine Tochter dem Vater nicht«276. Den Sprachverlust ihres Vaters habe sie als gleichbedeutend mit Existenzverlust erlebt, so Mayer/Koberg : »Vielleicht ist ihr Werk, vor allem in seiner späten Phase, auch deshalb ein so gewaltiger Sprechakt. Nur solange man spricht, lebt man.« 277 Bereits in der Pubertät beginnt das Mädchen, unter schweren Angstzuständen zu leiden. Die Mutter schickt sie, anstatt in die Gesellschaft von Gleichaltri- gen, zur Therapie  – in die Gesellschaft von »schwergestörten Neurotikern und Psychopathen«278, wie die Tochter der Mutter später vorhält. Ungeachtet all der psychischen und familiären Belastungen ist das Mädchen als Gymnasiastin 272 Vgl. ebd., S.  123  f. Vgl. auch Meyer, Sturm und Zwang, S.  50. 273 49 Verwandte aus der väterlichen Linie seien in der NS-Zeit ums Leben gekommen, erzählte Jelinek in einem Interview  – verwies aber darauf, selbst nur von einer Cousine davon erfahren zu haben. Vgl. profil, Nr.  49, 2004, S.  133. Gesichert ist, dass zwei Schwestern des Großvaters 1942 Opfer des Holocaust geworden seien, berichten Mayer/Koberg, vgl. Ein Porträt, S.  98. 274 Vgl. Mayer/Koberg, Ein Porträt, S.  124  f. 275 Vgl. ebd. S.  39. In einem Interview relativierte Jelinek diese Einschätzung, indem sie meinte, man habe eigentlich nicht genau gewusst, woran der Vater erkrankt war, es sei möglicherweise Alzheimer gewesen, möglicherweise aber auch eine Art Berufskrankheit, da er als Chemiker viele toxische Substanzen eingeatmet habe. Vgl. Meyer, Sturm und Zwang, S.  34  f. 276 Jelinek in einem Interview, zitiert nach : Müller, Elfriede Jelinek, S.  200. 277 Mayer/Koberg, Ein Porträt, S.  220. 278 Meyer, Sturm und Zwang, S.  7. 58 | Einleitung Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek Eine historiografische Untersuchung
Titel
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Untertitel
Eine historiografische Untersuchung
Autor
Sylvia Paulischin-Hovdar
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2017
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20325-4
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
328
Schlagwörter
Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 7
  2. 1. Einleitung 11
    1. 1.1 Inhalte und Ziele 12
    2. 1.2 Forschungsstand 16
    3. 1.3 Darstellung der Gliederung 20
    4. 1.4 Diskussion der zentralen Begriffe 22
      1. 1.4.1 »Faschismus« 23
      2. 1.4.2 »Nationalsozialismus« 36
      3. 1.4.3 »Mythos« nach Roland Barthes 41
      4. 1.4.4 Der Begriff »Opfermythos« 43
    5. 1.5 Elfriede Jelinek : Annäherung an eine »synthetische Künstlerbiografie« 55
    6. 1.6 Poetologische EinfĂĽhrung 67
      1. 1.6.1 Jelineks ästhetische Position : »Tradition des Sezierens« 67
      2. 1.6.2 Destruktion des Opfermythos : »Das ist mein Angelpunkt« 79
  3. 2. Methodische Reflexion 99
    1. 2.1 Zur Intertextualität 100
    2. 2.2 Darstellung der angewandten Methodik 105
  4. 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
    1. 3.1 »Burg theater« 108
      1. 3.1.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 108
      2. 3.1.2 Formales, Setting und Plot 112
      3. 3.1.3 Die Figuren : »Sprachschablonen« 115
      4. 3.1.4 Die Sprache : ein Mythos 143
      5. 3.1.5 Die Rezeption : ein Skandal 155
      6. 3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos 158
    2. 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
      1. 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
      2. 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
      3. 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
      4. 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
      5. 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
      6. 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
    3. 3.3 »Das Lebewohl« 247
      1. 3.3.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 247
      2. 3.3.2 Formales, Setting und Plot 250
      3. 3.3.3 Der Sprecher : Destruktion eines vermenschlichten Mythos 252
      4. 3.3.4 Entstehungskontext und Rezeption 274
  5. 4. ResĂĽmee 279
    1. 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 280
    2. 4.2 Interdisziplinäre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur 291
  6. 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
  7. 6. Anhang 299
    1. 6.1 Literaturverzeichnis 300
      1. 6.1.1 Primärliteratur 300
      2. 6.1.2 Sekundär- und Referenzliteratur 301
      3. 6.1.3 Zeitungen und Zeitschriften 316
      4. 6.1.4 Filme und TV-Beiträge 317
      5. 6.1.5 Internet-Seiten 317
    2. 6.2 Abbildungsverzeichnis 318
  8. 7. Register 319
    1. 7.1 Personenregister 319
    2. 7.2 Sachregister 321
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