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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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Zwei Wochen nach dem Treffen in Innsbruck stirbt der Vater im Kranken- haus Baumgartner Höhe, ausgerechnet jenem Krankenhaus, das  – »grausame Ironie des Schicksals« 287– während des Kriegs Schauplatz nationalsozialisti- scher »Euthanasie« gewesen ist und immer noch von Heinrich Gross288 ge- leitet wird. Elfriede und Mutter Ilona bleiben alleine in dem Familienhaus in Wien-Hütteldorf. Mit großer Produktivität arbeitet Elfriede indes an weiteren Texten. Ihr zweites Buch »wir sind lockvögel baby !« wird 1970 von dem eta- blierten Rowohlt-Verlag veröffentlicht. Das Musikkonservatorium schließt sie zwar ein Jahr später mit Auszeichnung ab, den Weg als Berufsmusikerin schlägt sie aber trotzdem nicht ein. Das Schreiben habe sich als »der bessere Weg«289 erwiesen. Mit dem Text »der fall des leander kaiser« tritt Elfriede, inzwischen eine junge Frau, erstmals schreibend gegen die staatliche Autorität in Aktion.290 Die Parteinahme für Kaiser stellt die erste von unzähligen Stellungnahmen dar, die sie in den folgenden Jahren in Form von Essays, Reden oder Kommentaren ver- fassen oder über Interviews ausrichten lassen wird, um für Freunde oder Gleich- gesinnte einzutreten.291 1974 heiratet sie den Informatiker Gottfried Hüngsberg, zieht aber nicht mit ihm zusammen, sondern lebt mit ihm in einer Fernbeziehung zwischen Mün- chen und Wien. »ich hab geheiratet, sonst gehts mir auch gut«, schreibt die Frischvermählte in einem Brief an ihren Mentor Otto Breicha, »gottseidank 287 Mayer/Koberg, Ein Porträt, S.  126. 288 Gross war 1944 als Stationsarzt im Krankenhaus »Am Spiegelgrund« (heute : »Baumgart- ner Höhe«) tätig gewesen. Er soll sich dort im Rahmen der so genannten »Euthanasie-Pro- gramme« an der Ermordung zahlloser behinderter Kinder beteiligt haben, wurde strafrecht- lich jedoch nie belangt (ein Urteil wegen Totschlags von 1950 wurde wieder aufgehoben). Er blieb von der Entnazifizierung weitgehend unbehelligt und konnte in der Zweiten Republik Karriere als Neurologe und Psychiater machen. Für seine Forschungen an teils aus der NS- Zeit stammenden Kinderhirnen wurde er sogar 1959 mit dem Theodor-Körner-Preis aus- gezeichnet. Als im Jahr 2000 das Verfahren gegen ihn wiederaufgenommen werden sollte, galt er wegen Demenz bereits als verhandlungsunfähig. Vgl. Wiener Zeitung, Donnerstag, 22.12.2005. Vgl. auch Häupl, Die ermordeten Kinder vom Spiegelgrund. 289 Mayer/Koberg, Ein Porträt, S.  26 290 Kaiser wurde wegen eines Artikels (»Über die Kirche und die Sexualität«) zu drei Monaten Haft verurteilt. Es wurde ihm der Verstoß gegen das Pornografie-Gesetz angelastet, weil dem Artikel ein Bildausschnitt aus einem Aufklärungsfilm Oswald Kolles beigefügt gewesen war. Der Richter verlangte zudem ein psychiatrisches Gutachten, welches ausgerechnet von Hein- rich Gross erstellt wurde. Jelinek schrieb über den Prozess gegen ihren Freund und machte den ihrer Meinung nach totalitären Staat für das Urteil verantwortlich. Das Urteil wurde letzten Endes in eine Bewährungsstrafe umgewandelt. Vgl. ebd., S.  56–59. 291 Vgl. ebd., S.  58. 60 | Einleitung Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek Eine historiografische Untersuchung
Titel
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Untertitel
Eine historiografische Untersuchung
Autor
Sylvia Paulischin-Hovdar
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2017
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20325-4
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
328
Schlagwörter
Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 7
  2. 1. Einleitung 11
    1. 1.1 Inhalte und Ziele 12
    2. 1.2 Forschungsstand 16
    3. 1.3 Darstellung der Gliederung 20
    4. 1.4 Diskussion der zentralen Begriffe 22
      1. 1.4.1 »Faschismus« 23
      2. 1.4.2 »Nationalsozialismus« 36
      3. 1.4.3 »Mythos« nach Roland Barthes 41
      4. 1.4.4 Der Begriff »Opfermythos« 43
    5. 1.5 Elfriede Jelinek : Annäherung an eine »synthetische Künstlerbiografie« 55
    6. 1.6 Poetologische Einführung 67
      1. 1.6.1 Jelineks ästhetische Position : »Tradition des Sezierens« 67
      2. 1.6.2 Destruktion des Opfermythos : »Das ist mein Angelpunkt« 79
  3. 2. Methodische Reflexion 99
    1. 2.1 Zur Intertextualität 100
    2. 2.2 Darstellung der angewandten Methodik 105
  4. 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
    1. 3.1 »Burg theater« 108
      1. 3.1.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 108
      2. 3.1.2 Formales, Setting und Plot 112
      3. 3.1.3 Die Figuren : »Sprachschablonen« 115
      4. 3.1.4 Die Sprache : ein Mythos 143
      5. 3.1.5 Die Rezeption : ein Skandal 155
      6. 3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos 158
    2. 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
      1. 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
      2. 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
      3. 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
      4. 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
      5. 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
      6. 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
    3. 3.3 »Das Lebewohl« 247
      1. 3.3.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 247
      2. 3.3.2 Formales, Setting und Plot 250
      3. 3.3.3 Der Sprecher : Destruktion eines vermenschlichten Mythos 252
      4. 3.3.4 Entstehungskontext und Rezeption 274
  5. 4. Resümee 279
    1. 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 280
    2. 4.2 Interdisziplinäre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur 291
  6. 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
  7. 6. Anhang 299
    1. 6.1 Literaturverzeichnis 300
      1. 6.1.1 Primärliteratur 300
      2. 6.1.2 Sekundär- und Referenzliteratur 301
      3. 6.1.3 Zeitungen und Zeitschriften 316
      4. 6.1.4 Filme und TV-Beiträge 317
      5. 6.1.5 Internet-Seiten 317
    2. 6.2 Abbildungsverzeichnis 318
  8. 7. Register 319
    1. 7.1 Personenregister 319
    2. 7.2 Sachregister 321
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