Seite - 61 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Bild der Seite - 61 -
Text der Seite - 61 -
keinen künstler…, sondern einen naturwissenschafter… das ist sehr angenehm.
einen münchner, daher teil ich jetzt meine zeit zwischen wien und münchen, ist
ja nicht weit.«292 Kinder haben die beiden keine. Elfriede möchte keine ; offiziell,
weil sie nicht wolle, dass ein unschuldiges Wesen ihre Neurosen ausbaden müs-
se.293 Die Beziehung mit Gottfried Hüngsberg sei »keine normale Ehe«294, ihr
Mann sei ebenso ein Einzelgänger wie sie.295 In demselben Jahr, in dem Elfriede
heiratet, geht sie außerdem noch eine weitere Verbindung ein : Sie tritt (aus
marxistischer Überzeugung) der Kommunistischen Partei bei, wird diese aber
1991 im Streit wieder verlassen.
1975 erscheint der Roman, der Elfriede zum »literarischen Durchbruch«296
verhilft : »Die Liebhaberinnen«. Ihr erstes Theaterstück, »Was geschah, nachdem
Nora ihren Mann verlassen hatte«, 1977 erschienen, wird 1979 in Graz uraufge-
führt, weitere Theatertexte folgen, die meisten werden jedoch zunächst vor allem
an deutschen Bühnen gezeigt. 1980 erscheint der Roman »Die Ausgesperrten«,
dem eine aufsehenerregende Familientragödie aus dem Wien der 1950er Jahre
zugrunde liegt. Das Buch wird von Franz Novotny verfilmt.
1983 schließlich kommt »Die Klavierspielerin« heraus, jener Roman, in wel-
chem Elfriede unverhohlen autobiografisch mit der überpräsenten, autoritären
Mutter abrechnet. Der Vater wird in diesem Buch nur an einer einzigen Stelle
erwähnt.297 Die Erinnerung an den Vater wird erst viel später, dafür aber mit
»umso größerer Intensität«298 wiederkehren : Gegen Ende der 1990er Jahre wird
Elfriede beginnen, sich mit dem fehlenden Vater in ihren Texten zu konfron-
tieren, etwa im »Sportstück (1998), in dem eine Figur namens ELFI ELEKTRA
ihren toten Vater beklagt. Das Stück kulminiert in der Anrufung des Vaters
durch die Figur der AUTORIN, die sich laut Regieanweisung von ELFI ELEKTRA
»vertreten lassen«299 kann – ein Monolog, der von Wut, Trauer und Schuldge-
fühlen getragen ist :
292 Jelinek, zitiert nach : Ebd., S. 75.
293 Vgl. Die Zeit, Nr. 3, 2006, S. 60. Außerdem : Müller, Ich bin die Liebesmüllabfuhr, S. 28.
294 profil, Nr. 49, 2004, S. 136.
295 Gottfried Hüngsberg, der jede Öffentlichkeit meidet, zeichnet für die Gestaltung von Elfriede
Jelineks Homepage verantwortlich, die laufend aktualisiert wird : http://www.elfriedejelinek.
com.
296 Janz, Elfriede Jelinek, S. 21.
297 Gleich zu Beginn wird darauf verwiesen, dass der Vater nicht (mehr) da ist : »Nach vielen
harten Ehejahren erst kam Erika damals auf die Welt. Sofort gab der Vater den Stab an seine
Tochter weiter und trat ab.«Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 7.
298 Vgl. Die Zeit, Nr. 3, 12. 1. 2006, S. 60.
299 Jelinek, Sportstück, S. 184. 61
Elfriede Jelinek : Annäherung |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319