Seite - 95 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Bild der Seite - 95 -
Text der Seite - 95 -
Seiten der Schriftsteller-Vereinigungen, blieben aber aus.526 Jelinek selbst zeigte
sich von der Aktion tief getroffen. In einem Kommentar nannte sie diese Stra-
tegie der FPĂ eine »schleichende Faschisierung der Ăffentlichkeit in Ăster-
reich«.527 In der Heine-Preisrede 2002 ergÀnzte sie, dass die selbsternannten
»SaubermÀnner« der extremen Rechten, denen nichts lieber sei als die Wörter
»Ordnung« und »Sauberkeit«, immer Ordnung machen wollen, indem sie an-
dere fertigmachen, aber :
»Es kann im Schreiben keine Ordnung sein, deshalb werden die Schreibenden von den
SaubermĂ€nnern auch so gehaĂt.«528.
Man sieht, dass das literarische Schaffen und die politische Agitation Jelineks â
entgegen anders lautenden BehauptungenÂ
â nicht voneinander zu trennen sind.529
In der bereits zitierten Heine-Preisrede prophezeite Jelinek die Wiederkehr
des Faschismus : Die Freiheitliche Partei und die schlagenden Burschenschaften
seien »GeschichtslĂŒgner und -leugner«530. Der Volkssturm bleibe zwar noch ein
wenig aus, aber : »Wir warten derzeit ⊠auf ihn.«531
Auch vor groĂem Publikum scheute sich Jelinek nicht davor, deutliche Worte
ĂŒber die Haider-Partei zu finden : Die FPà »kotzt uns ihre antisemitischen
und menschenfeindlichen SprĂŒche vor die FĂŒĂe«532, Ă€rgerte sie sich nach der
schwarz-blauen Regierungsbildung bei einer Kundgebung auf dem Wiener
Stephansplatz im Jahr 2000. Und : Sie habe allmÀhlich keine Lust mehr, dauernd
mit einem Fetzen »hinter ihnen herzurennen«533.
Mit dem Theatermonolog »Das Lebewohl«534 verabschiedete sie Jörg Haider
satirisch aus der Bundespolitik â ein vorlĂ€ufiger Höhepunkt der jahrelangen
Auseinandersetzungen. Haider zog sich als Landeshauptmann offiziell nach
KĂ€rnten zurĂŒck, ĂŒbte als »einfaches Parteimitglied« (vielbemĂŒhte Eigendefini-
tion Haiders) aber weiterhin groĂen Einfluss auf die Entscheidungen der Bun-
des-FPĂ aus, bis es bei einer Delegiertenversammlung in Knittelfeld 2005 zur
Spaltung der Partei kam.
526 Vgl. Janke, Die Nestbeschmutzerin, S. 88.
527 Vgl. Scheidl, Ein Land auf dem rechten Weg, S. 215. Jelineks Kommentar ist abgedruckt in :
profil, Nr. 34, 1998, S. 81.
528 Jelinek, Ein deutsches MĂ€rchen, unpaginiert.
529 Vgl. Kapitel 1.1 sowie 1.2 dieser Studie.
530 Jelinek, Ein deutsches MĂ€rchen, unpaginiert.
531 Ebd. Vgl. auch das Wortspiel in demselben Text : »Volk â Volkstum â Volkstrumm«.
532 Jelinek, Rotz, abgedruckt in : Janke, Nestbeschmutzerin, S. 154.
533 Ebd.
534 Vgl. Kapitel 3.3 dieser Studie. 95
Poetologische EinfĂŒhrungâ |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die groĂe Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂŒmee 279
- 5. Epilog â Wir warenâs nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319