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eine Trennung von Beruf und Privatleben für Schauspieler nicht möglich wäre,
da die Identifikation mit den jeweiligen Rollen im Vordergrund stünde.149 Auch
bei der Betrachtung der Figur Istvan wurde bereits auf diese Selbst-, aber auch
Fremdcharakterisierung aufmerksam gemacht, die zugleich als Rechtfertigung
für viele Schauspieler diente, im Deutschen Reich tendenziöse Film- und The-
aterrollen anzunehmen. Die Figur Käthe definiert sich geradezu über diesen
Mythos.
Käthe elegisch : …Rollen…Rollen…stets muß ich aus Aigenem gestalten ! Menschen
formen ! In naiche Menschenkinder einischliaffen ! Nie ist die Mimin sie selbst.150
Käthe behauptet also von sich selbst, sich ganz und gar der Kunst verschrie-
ben zu haben und daher (ähnlich wie Istvan) völlig unpolitisch zu sein, denn
womit »ließen sich ›Unschuld‹ und ›Opfer‹ besser behaupten als mittels eines
ahistorischen, überzeitlichen und ›übergesellschaftlichen‹ Kunstbegriffs ?«151.
Käthe möchte aber nicht bloß Schauspielerin sein
– nein, im Mittelpunkt ihres
Begehrens steht ganz konkret das Wiener Burg theater, als Inbegriff der öster-
reichischen Hochkultur :
Käthe : … Burg theater ! Du Stätte der Weihe am Ring ! Du Ort der Verwandlung !
Zauberland der Kindheit ! Erstes glühendes Regen am vierten Rang ! Das rotbackige
Anstellen um Stehplätze ! Erstes Erspüren, was Kunst sein kann, sein soll ! (…)152
Diese und ähnliche Aussagen werden jedoch als reine Lippenbekenntnisse des-
truiert, denn durch die sprachliche Labilität ihrer Figur disqualifiziert Jelinek in
einem fort die Qualität von Käthes Schauspiel. Auch als sie ihr die folgenden
Worte in den Mund legt, wird deutlich, dass sie Käthe als einfachen Charakter,
nicht als große Künstlerin, darstellen will :
Käthe : Am liabsten spü i a Grafentöchterl aus der Provinz ! Des paßt am besten zu
mein großflächigen Gsichterl, wos oba schwer zum belaichten is.153
Entgegen ihrer eigenen Einschätzung, eine Dienerin der Kunst und daher unpo-
litisch zu sein, glaubt Käthe jedoch an Hierarchien und lebt sie auch : indem sie
149 Vgl. Hochholdinger-Reiterer, Amok, S. 53.
150 BT, S. 141.
151 Hochholdinger-Reiterer, Amok, S. 57.
152 BT, S. 142.
153 BT, S. 140. 133
»Burg
theater« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319