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Auch Walter Reisch, der 1934 gemeinsam mit Willi Forst das Drehbuch für
jenen Film verfasst hatte, mit dem Paula Wesselys Schauspielkarriere in Gang
gesetzt wurde, »Maskerade«, brachte in den 1970er Jahren eine bemerkenswerte
Wessely-Huldigung dar, die – sofern der Prätext bekannt ist – unverkennbar in
Jelineks »Burg theater«-Text aufgenommen und (nur leicht) verfremdet wurde,
um ihre vermeintliche »Unschuld« zu durchbrechen.162163164
Prätext (Reisch)
»Die Paula war ja noch nie eine große
Schauspielerin, die Paula war eine ele-
mentare Erscheinung, so wie ich es sehe –
ein Orkan, der über die Erde gerast ist.
Wäre die Paula Malerin geworden, wäre
sie eine große Malerin gewesen. Wäre
sie eine Bildhauerin geworden, wäre sie
die beste Bildhauerin geworden, die im
Donaubecken je zustandekam. Die Paula
hat dieses Österreichertum so unglaublich
erfaßt und kann es wiedergeben in jeder
Form.«163 Posttext (Jelinek)
Käthe : … Ich bin eine elementare Er-
scheinung, ein Orkan, der ieber die Erde
rast. Ich bin im Donaubecken zustande
gekommen.6
Und wenige Zeilen später :
Käthe : … Das daitsche Publikum aller
Stämme will auch juchzen ! Nur aine ain-
malige künstlerische Begebenheit wie ich
verhilft dazua ! Österreichertum !164
Die Verklärung der Schauspielerin Wessely wird auch an der Verwendung des
bestimmten Artikels deutlich : die Wessely (Ibach) und die Paula (Reisch). Im
Zusammenhang mit Personen wird diese Ausdrucksweise in der Standardspra-
che nur dann verwendet, wenn es sich um berühmte Persönlichkeiten handelt,
deren Erwähnung keiner weiteren Erläuterung bedarf (so wie in der medialen
Berichterstattung vielfach auch von der Jelinek gesprochen wird). Diese Aus-
drucksweise greift die Autorin in »Burg theater« auf, wenn Käthe von sich
behauptet : »Die Käthe bin ich, einfach nur ›die Käthe‹.«165 Diese Sprachver-
wendung suggeriert Natürlichkeit, Jugendfrische, Volksnähe – in einem Wort :
Unschuldigkeit.
Das Bild der unpolitischen und nicht verantwortlichen Mimin wird aber auf
der Sprech- wie auch auf der Aktionsebene destruiert : Käthe traktiert mit
Worten, aber auch mit handfester Gewalt Resi (… geht urplötzlich mit einem
162 Vgl. Steiner, Die verdrängten Jahre, S. 177.
163 So Walter Reisch in »Filmgeschichte(n) aus Österreich, TV-Serie, Folge 5, ORF 1971, zitiert
nach : Steiner, Die verdrängten Jahre, S. 177.
164 BT, S. 133.
165 BT, S. 175. 135
»Burg
theater« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319