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Nicht-Wahrnehmen von Verantwortung, die Wurzel allen Mitläufertums, dar-
stellen wollte – schließlich verkörpert die Figur Käthe eine erwachsene Frau,
die in ihren Theater- und Filmrollen Vorbild für viele andere Frauen ist, außer-
dem ist sie Ehefrau und Mutter dreier Kinder, trifft also für sich und andere
(mitunter existenzielle) Entscheidungen. Schon in ihrem »Nora«-Stück beklagte
Jelinek das selbstgewählte Schicksal fremdbestimmter weiblicher Existenzen.178
In der Figur der Käthe spitzen sich viele der Charaktereigenschaften zu, die
auch bereits in der Auseinandersetzung mit Schorsch und Istvan bemerkt
wurden
– insofern ist die wankelmütige Käthe als zentrale Figur des Stücks zu
interpretieren.
Jelinek hat mit Käthe eine Figur geschaffen, die all das in sich vereint, was
die Autorin selbst ablehnt : Sie ist als Frau schwach, sie ist sprachlich labil, sie
ordnet sich patriarchalen Familienbildern und hierarchischen Gesellschafts-
ordnungen unter und macht sich zu deren Komplizin, sie erniedrigt und quält
andere, die ihr selbst geistig oder körperlich unterlegen sind, sie propagiert ein
Kunstideal, das für sie selbst unnatürlich ist, da es nicht Teil ihres Wesens, son-
dern angelernt ist. Die ganze Figur ist künstlich und nur scheinbar natürlich.
KÄTHE ist der personifizierte Mythos.
3.1.3.4 ALPENKÖNIG und BURG THEATERZWERG
»So wortens doch, wos in Ihnara Biographie olles
drinnenstengan wird, wos man hernoch freilich
sogleich wieder vergessen wird !«179
Der Alpenkönig, die zentrale Figur des Allegorischen Zwischenspiels, de-
finiert sich selbst in mehrfacher Weise. Einmal gibt er sich als ehemaliger
Schauspielkollege von Käthe, Istvan und Schorsch zu erkennen, einmal
als Widerstandskämpfer, der um Geld bittet, einmal konfrontiert er Käthe mit
den Worten »Ich bin Ihnare Biographie !«180, einmal ruft er aus : »Ich bin die
Nachgeborenen ! Ich bin Österreich ! Ich bin die Zukunft !«181 Die Zukunft ver-
körpert der Alpenkönig zumindest insofern, als dass Attila Hörbiger als Rap-
pelkopf und Paul Hörbiger als Alpenkönig 1965 in Ferdinand Raimunds
Stück »Alpenkönig und Menschenfeind« am Wiener Burg theater zu sehen
178 Vgl. Kapitel 1.6.2 dieser Studie.
179 BT, S. 146.
180 Ebd.
181 BT, S. 147.
138 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319