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war sie Mitglied der »Reichsfachschaft Film« gewesen, hatte sich jedoch bis
1938 darum bemüht, von nationalsozialistischen Projekten nicht zu sehr verein-
nahmt zu werden, da sie auch im austrofaschistischen Ständestaat Engagements
wahrgenommen hatte.292 So hatte sie sich wiederholt für Veranstaltungen der
Austrofaschisten zur Verfügung gestellt, die im heutigen Sinn »durchaus Wer-
be-Qualitäten«293 aufwiesen. Im April 1937 etwa taufte sie, umweht von Kru-
kenkreuzfahnen und beobachtet von Kameras der (von der »autoritären Halb-
diktatur«294 installierten) Wochenschau »Österreich in Bild und Ton«295, ein
von »Jungen des österreichischen Jungvolkes« gebasteltes Segelflugzeug auf den
Namen »Paula«, was im Rahmen der Wochenschau den Weg in die deutschspra-
chigen Kinos fand und eine entsprechende Breitenwirkung hatte.296 In Jelineks
»Burg theater«-Text wird auf diese Verpflichtungen Wesselys dem austrofaschis-
tischen Regime gegenüber immer wieder implizit, aber auch explizit hingewie-
sen. So deklamiert etwa Käthe, während sie eine Filmrolle imaginiert : »… in
Bild und Ton ! Da ist es schon !«297
Dennoch gab Wessely nach dem »Anschluss« eine Abstimmungsempfehlung
zugunsten der Nationalsozialisten ab :
»Ich freue mich, am 10.
April 1938 das Bekenntnis zum grossen volksdeutschen Reich
mit Ja ablegen zu können und so die von mir immer betonte Kulturverbundenheit der
österreichischen Heimat mit den andern deutschen Gauen zu bekräftigen !«298
Mit dieser Formulierung schaffte sie es immerhin, sowohl Affinität zur groß-
deutschen Idee als auch Kulturverbundenheit mit der österreichischen Heimat
zu bekunden – ein Zwiespalt, der bei Käthe in Jelineks »Burg theater«-Stück
immer wieder angedeutet wird. Der im März 1938 vollzogene »Anschluss«
wurde mit der aufwändig beworbenen »Pseudo-Volksabstimmung«299 am
10. April 1938 mit über 99 Prozent der Stimmen bestätigt.300 Bei der »Auffor-
derung zur Mithilfe am Winterhilfswerk des Deutschen Volkes« 1937 hatte
Wessely zunächst noch gezögert, was Propagandaminister Goebbels nicht wei-
292 Vgl. Rathkolb, Führertreu und gottbegnadet, S. 261.
293 Steiner, Die verdrängten Jahre, S. 87.
294 Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 304.
295 Zur De-facto-Vorführpflicht der österreichischen Wochenschauen (ab 30. Mai 1933) vgl.
Hofinger, Ein Volk, S. 238.
296 Vgl. ebd.
297 BT, S. 135.
298 Wessely, zitiert nach : Steiner, Die verdrängten Jahre, S. 80.
299 Ebd., S. 79.
300 Vgl. ebd. 161
»Burg
theater« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319