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genden des Deutschen Reichs und wirkte an der einzigen »individuell zurechen-
baren«309 antisemitischen Sequenz mit, in der Marie Thomas den jüdischen
Krämer Salomonsson mit den Worten zurückweist : »Nee, Salomonsson, Sie
wissen ja, wir kaufen nicht bei Juden.«310 Jelinek quittierte diese Filmszene mit
unverhohlener Kritik an der Hauptdarstellerin : »… wenn sie in ›Heimkehr‹ sagt,
›Wir kaufen nichts bei Juden‹, hätte sie als erwachsener Mensch wissen müssen,
was sie da sagt.«311 Auch wenn der Wessely/Hörbiger-Biograf Markus Wert
auf den Hinweis legt, dass Wessely in einem vertraulichen Gespräch mit André
Heller 1976 echte Reue für ihre Mitwirkung an dem Film gezeigt habe (»Es war
das Schrecklichste, das ich in meinem Leben getan habe, ich geniere mich in
Grund und Boden dafür und bereue nichts mehr als das… Der Film Heimkehr
war etwas Schreckliches, und es war eine uferlos opportunistische Tat, darin
aufzutreten«312), und auch wenn wohlwollend davon ausgegangen wird, dass
Wessely dieses Bedauern im vertraulichen Gespräch tatsächlich äußerte, muss
ihr doch angekreidet werden, dass sie in der Öffentlichkeit niemals auch nur
annähernd so deutliche Worte fand.
Um die Tragweite von Wesselys Engagement in »Heimkehr« deutlich zu ma-
chen, sei hier die Handlung des Films in aller Kürze zusammengefasst : Die-
ser nimmt seinen Ausgang in den Monaten vor dem Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs 1939 und zeigt die Angehörigen einer »volksdeutschen Minderheit«
in Polen (gemeint sind die »Wolhynien-Deutschen«), die mit jüdischer Unter-
stützung von »bestialischen polnischen ›Untermenschen‹«313 misshandelt und
beinahe ausgerottet wird. Wessely ist in der Rolle der »volksdeutschen« Leh-
rerin Marie Thomas zu sehen, die sich gegen die vermeintliche Willkür der
Polen zur Wehr setzt, der schließlich ihr Mann zum Opfer fällt. Die Deutschen
im Dorf werden verhaftet und sollen erschossen werden. Das Heranrücken der
Wehrmacht verhindert dies jedoch : Hitler wird als Retter der Deutschen ge-
priesen, der Angriff auf Polen zur Hilfsaktion für die dort lebenden Deutschen
verfälscht. Im Finale des Films wird der deutschen Minderheit schließlich in
einem großen Treck die »Heimkehr« ins Reich ermöglicht.314
309 Ebd., S. 264.
310 Wessely als Marie Thomas, zitiert nach : Ebd.
311 Jelinek über Paula Wessely, zitiert nach : http://www.elfriedejelinek.com (Link : »Paula Wes-
sely) (Zugriff am 20.11.2007).
312 Heller zitiert Wessely, zitiert nach : Markus, Die Hörbigers, S. 317.
313 Markus, Die Hörbigers, S.
153. Das Zitat von den »bestialischen Untermenschen« dürfte aber
ursprünglich von Löffler stammen, siehe Löffler, Was habe ich gewußt, S. 91.
314 Vgl. http://www.film.at/heimkehr (Zugriff am 25.4.2011). Vgl. außerdem Markus, Die Hör-
bigers, S. 153. 163
»Burg
theater« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319