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bis Mitte Dezember 1945 Auftrittsverbot. Ab Sommer 1946 wurde schließ-
lich auch die Erlaubnis zu Dreharbeiten wieder gegeben. Von einem »Karrie-
reknick«327 oder von ernsthaften Bemühungen, die eigene berufliche Vergan-
genheit als Aushängeschild der NS-Propaganda öffentlich aufzuarbeiten, kann
demnach nicht gesprochen werden.328
Attila Hörbiger, der als männlicher Hauptdarsteller in der Rolle des deut-
schen Wirts Ludwig Launhardt ebenfalls in dem Film mitgewirkt hatte,
darüber hinaus aber auch Mitglied der NSDAP gewesen war, musste nach dem
Krieg in Wien Schutt schaufeln.329 Die Frage über seine Mitgliedschaft hatte
Attila Hörbiger bereits am 20.
Juli 1934 in einem Fragebogen der NSDAP positiv
beantwortet, was insofern besonders bemerkenswert erscheint, als dass die Partei
zu diesem Zeitpunkt in Österreich noch verboten war. Allerdings hatte er keine
Mitgliedsnummer angegeben. Diese erhielt er offiziell erst 1941 zugewiesen.330
»Es ist sehr wahrscheinlich, daß Hörbiger mit dieser fragwürdigen Behauptung
den strengen Kontingent-Bestimmungen, die ›Ostmärker‹ in Deutschland vor
1938 betrafen, vorgreifen wollte«331, meint Rathkolb dazu. Über Hörbigers po-
litische Haltung müsse die (vielleicht sogar falsche) Angabe über seine frühe
Mitgliedschaft nicht unbedingt etwas aussagen. Erst nach 1938 exponierten sich
Paula Wessely und Attila Hörbiger in der Öffentlichkeit politisch im national-
sozialistischen Sinne. So nahm auch Attila Hörbiger, der als Vorbild für die
Figur des Istvan in Jelineks »Burg theater« angenommen werden darf, 1938 an
der Künstler-Petition, in der für den »Anschluss« geworben wurde, teil :
»Wir Künstler sind froh und stolz, am neuen großdeutschen Werke mitarbeiten zu
können und werden uns am 10.
April 1938 einmütig zu unserem Führer bekennen !«332
Insgesamt war Hörbigers Verhalten während der NS-Zeit voll der Widersprü-
che. Nach außen hin deklarierte er parteipolitische Präferenzen, im Privaten
versuchte er, seine »heile Welt« zu erhalten, unterhielt »sehr starke Verbindun-
gen zu Juden«333, wie der SS-Oberführer und spätere »Reichsfilmintendant«
327 Ebd.
328 Vgl. ebd. Vgl. auch Steiner, Paula Wessely, S. 152 ff.
329 Vgl. Löffler, Was habe ich gewußt, S. 90 f.
330 Vgl. Rathkolb, Führertreu und gottbegnadet, S. 241.
331 Ebd.
332 Attila Hörbiger, zitiert nach : Steiner, Die verdrängten Jahre, S. 81.
333 So SS-Oberführer Hans Hinkel in einer vertraulichen Sitzung, zitiert nach : Rathkolb, Füh-
rertreu und gottbegnadet, S. 241. Hinkel organisierte ab 1942 die Filmabteilung des Propag-
andaministeriums und war ab März 1944 Reichsfilmintendant. Vgl. Klee, Kulturlexikon zum
Dritten Reich, S. 249 f.
166 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319