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torischer Positionierung zum Trotz »auf einer inhaltlichen und funktionalen
Ebene vergleichbar«387, resümiert Kastberger, und zwar weil in ihnen jeweils
eine »Bilanz über Schuld und Unschuld«388 gezogen werde.389
Rainer Just reflektierte 2007 in einem ebenfalls sehr kurzen Aufsatz über das
»Untote im Werk Elfriede Jelineks«.390 Just interpretiert das Untotenmotiv in
Jelineks Werk als Ausdruck der Entfernung und Entfremdung von der Sprache
(»Ein unheimliches Haus, dieses Haus der Sprache. Es spukt in seinen Zim-
mern.«391). Zwar verweist er auf und zitiert immer wieder aus Jelineks Roman,
bleibt bei seinen Ausführungen jedoch sehr allgemein. Ein Buch wie »Die Kin-
der der Toten« sei letztlich »ungenießbar«, man könne es nur »in kleinen Dosen
zu sich nehmen, wie eine hochgiftige Medizin, die Heilung verspricht, aber nur
um den Preis des Todes«392. Konkret beruft er sich aber wiederholt auf die Nobel
Lecture »Im Abseits«, in der Jelinek die Entfremdung der Autorinneninstanz
von deren eigener Sprache thematisiert hatte.393 In Kombination mit anderen
Sekundärtexten können aus Justs kurzem Beitrag durchaus einige Anregungen
für den Umgang mit Jelineks Roman mitgenommen werden.
Verena Mayer und Roland Koberg widmeten in ihrem Autorinnenporträt
Jelineks »Gespenstergeschichte«394 ein etwa 20-seitiges Kapitel, in welchem
sie vor allem über Entstehungskontexte und Rezeption des Buchs berichten.
Sie liefern darüber hinaus aber auch plausible Hinweise auf mögliche Prätexte
des Romans, die sie nicht nur im Bereich der Literatur (Hans Leberts bereits
genannter »Wolfshaut«-Roman), sondern auch in der Psychologie (Sigmund
Freuds Aufsatz »Das Unheimliche«) und im Film verorten : So verweisen die
beiden Biografen auf den Schwarz-Weiß-Gruselklassiker »Carnival of Souls«
aus dem Jahr 1962, der die Autorin inspiriert haben soll.395
In ihrer »Einführung in das Werk«396 aus dem Jahr 2008 unternahm die Je-
linek-Spezialistin Bärbel Lücke den Versuch, Jelineks Roman auf knappen zehn
Seiten sowohl inhaltlich wiederzugeben als auch dessen vielschichtiger Inter-
387 Ebd.
388 Ebd.
389 Die thematischen, aber auch konzeptuellen Relationen zwischen Jelineks »Die Kinder der
Toten« und Leberts »Die Wolfshaut« werden im Rahmen der Textanalyse noch eingehend
diskutiert werden.
390 Just, Rainer : Zeichenleichen, unpaginiert.
391 Ebd.
392 Ebd.
393 Vgl. Kapitel 1.6.1 dieser Studie.
394 Mayer/Koberg, Ein Porträt, S. 197–218.
395 Vgl. ebd., S. 200.
396 Lücke, Elfriede Jelinek, S. 91–100. 175
»Die Kinder der Toten« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319