Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Historische Aufzeichnungen
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Seite - 195 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 195 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung

Bild der Seite - 195 -

Bild der Seite - 195 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung

Text der Seite - 195 -

Auf der anderen Seite braut sich  – parallel zu diesem exemplarischen Hand- lungsstrang  – ein stinkendes, braunes, stockendes Meer aus Leichen zusammen, das am Ende den Ort des Geschehens über- und unterspült : »Es ist böses Wasser par excellence… Ein Brei, in dem obenauf Knorpel und Haarmo- rast treiben und in dem verwesendes Menschenfleisch schwimmt. Von den Seiten nährt sich der anschwellende Strom aus nicht weniger grausigen Armen : Tödliche Mund- spülungen, (Monats)blutungen, Kammerwasser, Eiter, Kotze und Kot münden ein.«502 Die (untoten) Toten sind von Anfang an überall : in der Luft, in den Gewässern, unter der Erde. Allerdings befinden sie sich zunächst im Verborgenen, ihre An- wesenheit wird von den Lebenden nur intuitiv oder als kalter Lufthauch oder als dunkle Wolke wahrgenommen.503 Die Ermordeten (»Sechsmillionen«504) einer verdrängten Vergangenheit müssen sich erst aus dem Verborgenen hervorarbeiten  – und hier finden wir Freuds Definition des »Unheimlichen« wieder : »…  etwas, das im Verborgenen hätte bleiben sollen und hervorgetreten ist«505. Dieses »Etwas« in »Die Kinder der Toten« ist Österreichs (Mit-)Schuld an den Verbrechen des Nationalsozia- lismus  – und es ist hässlich, denn die Untoten sind bei Jelinek »eher hirnlose, sprechunfähige, sexbessene Zombies« denn »vergeistigte Erscheinungen mit Sinn für das Schöne und Erhabene«506, wie sie in der Literatur des 19.  Jahrhun- derts vorzufinden waren. Die Allgegenwärtigkeit der Holocaust-Ermordeten wird im Laufe des Rom- ans immer nachdrücklicher, die Bedrohung für die Lebenden immer eindring- licher. Und so kriechen die zu Unrecht Ermordeten schließlich als unbarmherzige, untote Rächer massenhaft aus den Wänden oder erheben sich aus schlammi- gen Pfützen. Manchmal sind es nur einzelne Körperteile, abgetrennte Glied- maßen oder halbe Schädel, die in dem »bösen Wasser«507 herumschwimmen oder aus der Erde hervorlugen. Durch die starken Regenfälle verbinden sich die unzähligen Leichen bzw. Leichenteile mit diversen anderen Flüssigkeiten, bis sie schließlich als ein einziger »Richtblock Wasser«508 erscheinen, der eine 502 Kastberger, Endspiele, unpaginiert. 503 Zu den Andeutungen der wiederkehrenden Toten mit Natur-/Wettererscheinungen vgl. Ka- pitel  3.2.6 dieser Studie. 504 KDT, S.  453. 505 Freud, Das Unheimliche, S.  254. 506 Mertens, Untote, S.  5. 507 Vgl. Kastberger, Endspiele. 508 KDT, S.  253. 195 »Die Kinder der Toten«  |
zurück zum  Buch Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung"
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek Eine historiografische Untersuchung
Titel
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Untertitel
Eine historiografische Untersuchung
Autor
Sylvia Paulischin-Hovdar
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2017
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20325-4
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
328
Schlagwörter
Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 7
  2. 1. Einleitung 11
    1. 1.1 Inhalte und Ziele 12
    2. 1.2 Forschungsstand 16
    3. 1.3 Darstellung der Gliederung 20
    4. 1.4 Diskussion der zentralen Begriffe 22
      1. 1.4.1 »Faschismus« 23
      2. 1.4.2 »Nationalsozialismus« 36
      3. 1.4.3 »Mythos« nach Roland Barthes 41
      4. 1.4.4 Der Begriff »Opfermythos« 43
    5. 1.5 Elfriede Jelinek : Annäherung an eine »synthetische Künstlerbiografie« 55
    6. 1.6 Poetologische Einführung 67
      1. 1.6.1 Jelineks ästhetische Position : »Tradition des Sezierens« 67
      2. 1.6.2 Destruktion des Opfermythos : »Das ist mein Angelpunkt« 79
  3. 2. Methodische Reflexion 99
    1. 2.1 Zur Intertextualität 100
    2. 2.2 Darstellung der angewandten Methodik 105
  4. 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
    1. 3.1 »Burg theater« 108
      1. 3.1.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 108
      2. 3.1.2 Formales, Setting und Plot 112
      3. 3.1.3 Die Figuren : »Sprachschablonen« 115
      4. 3.1.4 Die Sprache : ein Mythos 143
      5. 3.1.5 Die Rezeption : ein Skandal 155
      6. 3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos 158
    2. 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
      1. 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
      2. 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
      3. 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
      4. 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
      5. 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
      6. 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
    3. 3.3 »Das Lebewohl« 247
      1. 3.3.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 247
      2. 3.3.2 Formales, Setting und Plot 250
      3. 3.3.3 Der Sprecher : Destruktion eines vermenschlichten Mythos 252
      4. 3.3.4 Entstehungskontext und Rezeption 274
  5. 4. Resümee 279
    1. 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 280
    2. 4.2 Interdisziplinäre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur 291
  6. 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
  7. 6. Anhang 299
    1. 6.1 Literaturverzeichnis 300
      1. 6.1.1 Primärliteratur 300
      2. 6.1.2 Sekundär- und Referenzliteratur 301
      3. 6.1.3 Zeitungen und Zeitschriften 316
      4. 6.1.4 Filme und TV-Beiträge 317
      5. 6.1.5 Internet-Seiten 317
    2. 6.2 Abbildungsverzeichnis 318
  8. 7. Register 319
    1. 7.1 Personenregister 319
    2. 7.2 Sachregister 321
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek