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des Sports übergeordnet gewesen.640 Auch in den Jugendorganisationen HJ und
BdM, den Betriebssportgemeinschaften und der neu geschaffenen Organisation
»Kraft durch Freude« (KdF) wurden Sport und körperliche Ertüchtigung geför-
dert und damit Siegeswille, Disziplin und Unterordnung einer breiten Masse
als anzustrebende Ideale vermittelt.641 Ein wesentlicher Teil der ideologischen
Arbeit des Nationalsozialismus lag in der Schaffung einer »Volksgemeinschaft«,
eines »Wir-Gefühls« (»Die Reihen fest geschlossen«), wofür unter anderem der
Sport ideale Voraussetzungen bot. In nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen
ist sowohl die ideelle, als auch finanzielle und politische Aufwertung von Sport
und Leibesübungen im nationalsozialistischen Deutschen Reich festzustellen.642
Parallel zu dieser Aufwertung wurde ein »Neuarrangement der Werte am Kör-
per«643 vollzogen, wobei der »erwünschte männliche arische, starke Soldaten-
körper« in Wertungshierarchien ganz nach oben gestellt wurde. Und er hatte
einen »Antikörper« : den »Judenkörper«644.
Die Olympischen Spiele 1936 in Garmisch und Berlin stellten den Höhe-
punkt nationalsozialistischer Sportpolitik dar. Mit großem propagandistischem
Aufwand wurden die Spiele vorbereitet und begleitet.645 Die deutsche Schau-
spielerin und Filmemacherin Leni Riefenstahl drehte im Auftrag des Propagan-
daministeriums die bekannten Olympia-Filme (»Fest der Völker« und »Fest der
Schönheit«), für die sie national, aber auch international vielfach ausgezeichnet
wurde.646 Die Sensibilität von Seiten der internationalen Staatengemeinschaft
in Hinblick auf die nationalsozialistische Rassenpolitik war offenkundig zu
diesem Zeitpunkt nicht in dem bereits erforderlichen Ausmaß gegeben – die
Sportpropaganda des NS-Regimes hatte ihre Wirkung allem Anschein nach
nicht verfehlt.
Problematisch ist Sport vor allem deshalb, weil sich seine Strukturen und
Organisationsformen (etwa die zahlreichen Sportvereine) zur politischen Funk-
tionalisierbarkeit geradezu anbieten. So wurde er im nationalsozialistischen
Deutschen Reich massiv propagandistisch genutzt, um die Rassenpolitik des
640 Vgl. ebd., S. 10 f.
641 Vgl. http://www.schlossbergmuseum.de/templates/archiv/sportstadt/c5-IIIreich.htm (Zugriff
am 30.3.2012)
642 Beispielsweise rückte die Note für Leibesübungen in Schulzeugnissen an erste Stelle, wobei
durch die differenzierte Aufschlüsselung der schulsportlichen Einzelleistungen der größte
Teil des Zeugnisformulars ausgefüllt wurde. Vgl. Müllner, Mobilisierung der Körper, S. 12.
643 Ebd.
644 Ebd., S. 12.
645 Vgl. http://www.schlossbergmuseum.de/templates/archiv/sportstadt/c5-IIIreich.htm (Zugriff
am 30.3.2012)
646 Vgl. Hovdar, Mein Schweigen half mir nicht zu vergessen, S. 42 ff. 215
»Die Kinder der Toten« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319