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er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der
Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein
Meister aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith«748
Das »aschene Haar« Sulamiths ist darin als Bild für die jüdischen Opfer der
Shoah zu begreifen. Celans Gedicht taucht auch an anderer Stelle ein weite-
res Mal auf, als auf die »schwarze Milch der Frühe«749 Bezug genommen wird :
Die Untoten bereiten sich gerade auf ihren finalen Racheakt vor und »behäbige
Gesichter« heben sich zur Nacht hinauf, aus der wir »die schwarze Milch von
einem Dichter [Celan] ansaugen und dann in unsere Glasln spucken«750. In
Jelineks Roman ist an der Haarmetapher vor allem das wichtig, worauf diese
verweist : nämlich auf das, was nicht mehr da ist – die Männer, Frauen und
Kinder, denen die Haare abrasiert wurden. Die Haare können als unübersehbare
»Zeichen einer abwesenden Anwesenheit«751 gedeutet werden.
»Ist das nicht Haar ? Dort kommen Blut und Haar aus der Zimmerdecke herabge-
schossen, Tentakel einer grundlegend anderen Existenz.«752
»… jetzt ist es soweit : Das ganze Volk Abrahams wirft sein Haardach herab, ein rotes
Meer, das sich ein zweites Mal nicht wieder teilen wird, da soviele versucht haben, es
aus beinernen Humpen zu saufen, eine alte Sitte hierzulande…«753
Auch die »Lampenschirme aus Menschenhaut«754, die Jelinek bereits in ihr
»Burg theater«-Stück eingebaut hatte, werden in »Die Kinder der Toten« wieder
genannt. Sie versinnbildlichen geradezu Freuds »Unheimliches«, denn in ihnen
steckt das Bekannte und Altvertraute, das in seiner Entfremdung – den ent-hu-
manisierten Opfern der Konzentrationslager – zu grausigem Entsetzen führt.
748 Celan, Mohn und Gedächtnis, S. 37 ff.
749 Ebd.
750 KDT, S. 558.
751 Just, Zeichenleichen.
752 KDT, S. 404.
753 KDT, S. 405 f.
754 KDT, S. 279. 233
»Die Kinder der Toten« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319