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Auch am Schauplatz des Romans wird über die Toten des Nationalsozialismus
eisern geschwiegen.
Das »Schweigen« ist bei Lebert explizit im Namen des Dorfes formuliert, bei
Jelinek fallen das Stillhalten und Schweigen als rekurrente Textelemente auf, die
einmal ex- und einmal implizit formuliert sind. Man solle über die »Toten, die
unser Land schließlich ausmachen, nicht sprechen«776, heißt das Schweigegebot,
das bereits zu Anfang formuliert ist. Viele weitere Beispiele folgen :
»Ruhe, hier schweigen Existenzen !«777
»Länder, die zum Schweigen gebracht worden sind.«778
»Diese Körper schweigen…«779
»Das Schweigen beginnt für sie erst.«780
»… jeder Tritt wird sofort mit einer Fußangel aus Schweigen umschlossen.«781
»Manche, die man vorher hier noch nie gesehen hat, schweigen, ihre Worte suchen
noch nach den Unterkünften, erst danach werden sie beruhigt wieder ausschwirren
können.«782
»… die Sichtbaren wollen sich an nichts erinnern können.«783
In »Die Kinder der Toten« wird das konsequente Schweigen durch den Dau-
ergenuss alkoholischer Getränke befördert, eine »Landessitte«784, so Jelinek.
Die Lebenden in »Die Kinder der Toten« sind »immer alle etwas bezecht«785.
Schon der Busfahrer, der am Beginn des Buchs durch seinen riskanten Fahrstil
den folgenreichen Unfall mit dem Chrysler Voyager verursacht, ist alkoholisiert
und dürfte sich natürlich nicht ans Steuer setzen, denn für Berufsfahrer gilt
776 KDT, S. 41.
777 KDT, S. 18.
778 KDT, S. 22.
779 KDT, S. 23.
780 KDT, S. 50.
781 KDT, S. 86.
782 KDT, S. 434.
783 KDT, S. 591.
784 KDT, S. 9.
785 KDT, S. 9.
238 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319