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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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zum einen die Perspektive der Erzählinstanz ständig wechselt (Singular/Plu- ral ?, lebendig/tot ?, Opfer/Täter ?) und zum anderen die Hauptfiguren als untote Wesen erscheinen, die als Geister und Vervielfältigungen ihrer selbst auftreten, als Medium für Tote fungieren, in andere lebende wie auch tote Figuren ein- tauchen oder sich in deren Geschlechtsteile fräsen. Zwar tragen sie Namen wie Karin, Edgar oder Gudrun und haben eine Geschichte, die meist anhand von rückblickenden Sequenzen im Text dargelegt sind, dennoch bleiben sie für den Leser als Figuren im traditionell dramatischen Sinne unfassbare Größen. Eine Identifikation ist in jedem Fall unmöglich, denn Jelineks untote Protagonisten sind »eher hirnlose, sprechunfähige, sexbessene Zombies« denn »vergeistigte Erscheinungen mit Sinn für das Schöne und Erhabene«831. Die Figuren sind als ent-individualisierte, ent-lebendigte Schablonen zu begreifen, auf welche die Autorin zum Teil seitenlange Sprachflächen projiziert (sie finde »mal wieder kein Ende«832, gesteht die Erzählinstanz an einer Stelle des Texts selbstironisch ein). Diese Sprachflächen referieren in der Regel nicht auf einen Hypotext, son- dern »auf viele disparate Hypotexte unterschiedlicher Provenienz, Wertung und Ideologie.«833 Die in der Interpretation ausfindig gemachten Erzählstränge sind ineinander verschlungen, werden ständig und scheinbar willkürlich abgebrochen, ohne Überleitung in andere Settings übertragen und von dem nicht fassbaren, multiperspektivischen Autorinnen-Ich kommentiert.834 Dennoch muss an dieser Stelle festgehalten werden : Trotz aller bestehen- den Unklarheiten, Überlagerungen, Sprünge und Grenzverwischungen ist die Aussage des Texts unmissverständlich. Auf nahezu jeder Seite des gut 666  Sei- ten umfassenden Romans wird deutlich : »Die Kinder der Toten« ist Jelineks große Anklage an Österreich und die Anklagepunkte lauten : Bis heute wurde keine adäquate Sprache gefunden, mit der die Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden und die weiteren zahllosen Verbrechen des NS-Regimes (»…  deckenhohe Stellagen mit Hirnen von kleinen Kindern !«835) Ausdruck fin- den. Politiker mit »stahlblaue[n] Schals«836, Zeitungskolumnisten und katho- lische Geistliche dürfen die »Kleinigkeit von ein paar Millionen Toten«837 un- gestraft öffentlich herunterspielen. Auch Jahrzehnte nach der großen Katastrophe besteht bei vielen politischen und sozialen Repräsentanten der Republik, aber auch in Teilen der Bevölkerung 831 Mertens, Untote, S.  5. 832 KDT, S.  506. 833 Pontzen, Pietätlose Rezeption, S.  53  f. 834 Vgl. Mertens, Untote, S.  4. 835 KDT, S.  450. 836 KDT, S.  286. 837 KDT, S.  98. 246 | Lektüre- und Deutungsvorschläge Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek Eine historiografische Untersuchung
Titel
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Untertitel
Eine historiografische Untersuchung
Autor
Sylvia Paulischin-Hovdar
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2017
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20325-4
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
328
Schlagwörter
Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 7
  2. 1. Einleitung 11
    1. 1.1 Inhalte und Ziele 12
    2. 1.2 Forschungsstand 16
    3. 1.3 Darstellung der Gliederung 20
    4. 1.4 Diskussion der zentralen Begriffe 22
      1. 1.4.1 »Faschismus« 23
      2. 1.4.2 »Nationalsozialismus« 36
      3. 1.4.3 »Mythos« nach Roland Barthes 41
      4. 1.4.4 Der Begriff »Opfermythos« 43
    5. 1.5 Elfriede Jelinek : Annäherung an eine »synthetische Künstlerbiografie« 55
    6. 1.6 Poetologische Einführung 67
      1. 1.6.1 Jelineks ästhetische Position : »Tradition des Sezierens« 67
      2. 1.6.2 Destruktion des Opfermythos : »Das ist mein Angelpunkt« 79
  3. 2. Methodische Reflexion 99
    1. 2.1 Zur Intertextualität 100
    2. 2.2 Darstellung der angewandten Methodik 105
  4. 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
    1. 3.1 »Burg theater« 108
      1. 3.1.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 108
      2. 3.1.2 Formales, Setting und Plot 112
      3. 3.1.3 Die Figuren : »Sprachschablonen« 115
      4. 3.1.4 Die Sprache : ein Mythos 143
      5. 3.1.5 Die Rezeption : ein Skandal 155
      6. 3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos 158
    2. 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
      1. 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
      2. 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
      3. 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
      4. 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
      5. 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
      6. 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
    3. 3.3 »Das Lebewohl« 247
      1. 3.3.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 247
      2. 3.3.2 Formales, Setting und Plot 250
      3. 3.3.3 Der Sprecher : Destruktion eines vermenschlichten Mythos 252
      4. 3.3.4 Entstehungskontext und Rezeption 274
  5. 4. Resümee 279
    1. 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 280
    2. 4.2 Interdisziplinäre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur 291
  6. 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
  7. 6. Anhang 299
    1. 6.1 Literaturverzeichnis 300
      1. 6.1.1 Primärliteratur 300
      2. 6.1.2 Sekundär- und Referenzliteratur 301
      3. 6.1.3 Zeitungen und Zeitschriften 316
      4. 6.1.4 Filme und TV-Beiträge 317
      5. 6.1.5 Internet-Seiten 317
    2. 6.2 Abbildungsverzeichnis 318
  8. 7. Register 319
    1. 7.1 Personenregister 319
    2. 7.2 Sachregister 321
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