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werden vielleicht die Größe aufbringen, deinen Tod zum Anlass zu nehmen, sich mit
dir als Mensch zu versöhnen.«886
Im Angesicht seines plötzlichen Todes schienen Haiders Nähe zum Rechts-
extremismus, seine zweifelhaften Darstellungen zur österreichischen Zeitge-
schichte sowie seine unzähligen öffentlichen Beleidigungen (»Westentaschen-
Napo leon«887) nahezu vergessen, die Wandlung vom innenpolitischen Enfant
terrible zum weltmännischen Politiker schien akzeptiert.
Die Hintergründe rund um Parteienfinanzierung, Hypo-Alpe-Adria-Verkauf
oder den umstrittenen Klagenfurter Stadionbau werden allmählich offengelegt ;
auch von millionenschweren Schwarzgeldkonten Haiders in Liechtenstein wird
in österreichischen Medien berichtet.888 Diese und ähnliche Enthüllungen rüt-
teln erstmals nachhaltig an dem Mythos Haider.
Elfriede Jelinek hatte dem schönen Schein noch nie getraut. Mit allen ihr
zur Verfügung stehenden Mitteln hatte sie seit dem Innsbrucker FPÖ-Parteitag
1986, als Jörg Haider den eher liberalen, aber führungsschwachen FPÖ-Par-
teichef Norbert Steger vom Obmannsessel gestoßen hatte, das rechtsideologi-
sche, ausländerfeindliche Wertesystem der im Aufschwung begriffenen Partei
bekämpft, Gastkommentare verfasst, gegen das so genannte »Ausländervolks-
begehren« protestiert, Interviews gegeben, war bei Demonstrationen gegen
Fremdenhass mitmarschiert, hatte am Lichtermeer teilgenommen und diverse
Artikel in in- und ausländischen Zeitungen publiziert. 889
Mit ihren sprachkritischen Verfahren hatte sie schon in ihrem Opus Mag-
num »Die Kinder der Toten«, aber auch in zahlreichen Essays der 1990er Jahre
versucht, Haider als demokratieunfähigen, fremdenfeindlichen und antisemi-
tischen Populisten und seine »Burschen«890 als obrigkeitshörige Jünger zu de-
maskieren, was die FPÖ mit Plakatierungen gegen »linke Künstler« (Jelinek,
Peymann) quittiert hatte.891
886 Der damalige SPÖ-Parteichef und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, zitiert nach : Lux, Jörg
Haider, S. 222.
887 Haider über Jacques Chirac, zitiert nach : Czernin, Wofür ich mich meinetwegen entschuldige,
S. 71.
888 Vgl. profil vom 31.
Juli 2010 sowie vom 7.
August 2010, online abrufbar unter : http://www.profil.at/
articles/1030/560/274862_s1/exklusiv-haider-45-millionen-euro-liechtenstein sowie http://
www.profil.at/articles/1031/560/274862/joerg-haiders-geldgeschaefte-diktator- saddam-
hussein (Zugriff am 6.10.2012).
889 Vgl. Mayer/Koberg, Ein Porträt, S. 198 f.
890 KDT, S. 286.
891 Vgl. Kapitel 1.5 dieser Studie.
254 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319