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Ob homo- oder heterosexuell : Haiders Führungsposition innerhalb der Par-
tei war nahezu unumstritten. Die Wahlerfolge der FPÖ gaben seinem politi-
schen Stil, der auf Rechtspopulismus und dem Eindruck einer Ein-Mann-Partei
gründete, scheinbar Recht. Als gottesähnliche Figur tritt er in Jelineks Theater-
text auf, als »›Gott‹ (Apoll ?) Haider«912. Und so schilderte Haider in bereits
erwähntem News-Artikel, den er anlässlich seines Rücktritts als Parteiobmann
im Jahr 2000 veröffentlichen ließ, eine gebrochene Partei, die nur unter größtem
Protest und mit starker Wehmut ihren langjährigen Frontmann ziehen lässt :
Bei Bekanntgabe seiner Entscheidung hätten viele seiner Mitstreiter geweint.913
Von diversen Schocks ob der Rücktritts-Entscheidung wird (im Originaltext,
aber auch in Jelineks Monolog) berichtet : Neben dem verzweifelten FPÖ-Ge-
neralsekretär Peter Westenthaler habe auch Klubobmann Herbert Scheibner
versucht, mit Mimik und Körpersprache Protest zu artikulieren914 (»Scheibner,
Knabe, du auch, mein Herbert, zeigst es mir an, daß du Protest erhebst gegen
meinen Entschluß ?«915).
Jelineks Haider-Figur legt eine eitle Selbstverliebtheit an den Tag, die ihres-
gleichen sucht (»Es ist nichts. Nur ich bin.«916). Haider-Biografin Zöchling
zeigt sich davon überzeugt, dass auch das reale Vorbild für Jelineks Sprecher
vor »Selbstliebe«917 nur so gestrotzt habe.918
Das »Ich« ist von Beginn an ein starkes Element, steigert sich jedoch zum
Schluss hin, indem die Autorin auffällige syntaktische Verschiebungen vor-
nimmt, die das »Ich« noch mehr hervorheben, indem sie es an das betonte Ende
der Sätze stellt, worauf jeweils ein die Aufmerksamkeit sammelnder Doppel-
punkt hinweist919 – einem literarischen »Crescendo« gleich :
912 Lücke, Gespenster, S. 97.
913 Anmerkung : In Haiders Originaltext ist zu lesen : »Viel entschlossener als eigentlich gedacht
sagte ich meinen Freunden und Funktionären …, dass ich zurücktrete und der Entschluss
unwiderruflich ist. Das war gut so. Denn hätte ich dabei in die Runde geblickt und die Tränen
in den Augen vieler meiner langjährigen Mitstreiter gesehen, wer weiß, ob ich nicht schwach
geworden wäre. So aber suchte ich weder Blickkontakt zu meinen Freunden, noch ließ ich
Raum für eine Diskussion…«
– Wie es ihm möglich war, die Tränen in den Augen seiner Kol-
legen zu sehen, obwohl er nicht in die Runde geblickt und auch keinen Blickkontakt gesucht
hat, klärt Haider nicht auf. Vgl. News, Nr. 10, 2000, S. 30.
914 Vgl. News, Nr. 10, 2000, S. 30.
915 LW, S. 21.
916 LW, S. 20.
917 Zöchling, Haider, S. 17.
918 Vgl. Zöchling, Haider, S. 17.
919 Vgl. Lücke, Gespenster, S. 118. 259
»Das Lebewohl« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319