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Wahrheiten, aber auch deren inversive Umkehrung charakterisierten Haiders
Umgang mit heiklen Themen, inbesondere dem Nationalsozialismus. Wenn ihm
der mediale und politische Gegenwind zu stark wurde, passierte es mitunter,
dass er bestimmte Äußerungen nachträglich dementierte oder sich »meinet-
wegen«945 dafür entschuldigte und tat mit dieser Formulierung zugleich seinen
Unwillen kund. Die Haider-Biografin Christa Zöchling nennt diese Taktik die
»Strategie der kontrollierten Skandalisierung« :
»Zum Beispiel : Man stellt eine unerhörte Behauptung auf und dementiert sie nach-
träglich. Damit hat man durch zweierlei die Aufmerksamkeit der Medien erregt : ers-
tens durch die unerhörte Behauptung und zweitens durch das Dementi. Geschickt ist
es auch, wenn man den Überbringer der unerhörten Behauptung zum Schuldigen er-
klärt.«946
So waren es immer wieder »linke Journalisten«947 oder gerne auch das öffent-
lich-rechtliche Fernsehen, die ihn falsch zitiert hätten, um ihm und seiner Par-
tei zu schaden, beschwerte sich Haider bei unzähligen Gelegenheiten.948 Wenn
eine Entschuldigung unausweichlich war, fiel sie in der Regel halberzig aus.
Auch die Haider-Figur in Jelineks Text, der Sprecher, entschuldigt sich wie-
derholt, jedoch nur scheinbar :
»Meinetwegen entschuldige ich mich halt.«949
»Ich entschuldige mich, wenn Sie so wollen, für das Wetter, das schlimme, und für das
beigesellte Unheil entschuldige ich mich auch.«950
Die Entschuldigung verliert bei solchen Formulierungen ihren Wert. Sie ist un-
aufrichtig und verkommt zur Floskel. Diese und ähnliche Textpassagen aus dem
»Lebewohl« zeigen eindrucksvoll, wie Jelinek mit einfachen Mitteln ihre Kritik
an dem heutigen »Umgang mit dem Nationalsozialismus« in eine für den Spre-
cher konstruierte Sprache verpackt hat – eine paradoxe Sprache, die das para-
doxe österreichische Gedächtnis widerspiegelt : Dieses schwanke, so die Autorin,
945 Vgl. Czernin, Wofür ich mich meinetwegen entschuldige, S.70.
946 Zöchling, Haider, S. 210.
947 Zum Beispiel : Haider, zitiert nach : News, Nr. 10, 2000, S. 31.
948 Vgl. Zöchling, Haider, S. 210 f. Von dieser Taktik machen im Übrigen auch andere Politiker
Gebrauch, zum Beispiel Heinz Christian Strache oder (in sehr beeindruckender Manier) der
Industrielle und Neo-Politiker Frank Stronach.
949 LW, S. 24.
950 LW, S. 25.
264 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319