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»Wir haben uns entschuldigt, mehr als entschuldigt, und viel mehr können wir nicht
tun. Jetzt in die Zukunft schauen.«972
»… Schuld
– ebenfalls : genug !«973
In diesem Zusammenhang werden auch persönliche Angriffe (etwa gegen Hai-
ders Familie) in »Das Lebewohl« aufgegriffen
– doch das Gegenteil von Mitleid
wird hier bekundet, denn die Art und Weise der Formulierung (Übertreibung,
Schwarz-Weiß-Malerei, Ausdrücken von Selbstmitleid) impliziert Distanzie-
rung :
»Ich mußte miterleben, wie meine Familie, die Schönen, die Guten, Gescheiten, die
vor Blondheit Strotzenden, von brutal Gewalttätigen in Mitleidenschaft gezogen wur-
de.«974
So wird etwa mit der Formulierung »die vor Blondheit Strotzenden« die Nähe
der Haider-Familie zum Nationalsozialismus, der den groß gewachsenen, blon-
den »Arier« als »Herrenmenschen« idealisierte, angedeutet. Insbesondere Hai-
ders Eltern sollen überzeugte Nationalsozialisten gewesen sein.
Die Mutter, Dorothea Rupp, eine Primarstochter aus großbürgerlichem, na-
tionalem Haus, war während der NS-Zeit Bannmädchenführerin beim BDM
gewesen. Der Vater, Robert Haider, ein Schuhmachergeselle aus ärmlichen Ver-
hältnissen (welch Mesalliance !, befand die mütterliche Verwandtschaft975), war
bereits als 18-Jähriger der SA beigetreten – zu einem Zeitpunkt, als die NS-
DAP in Österreich noch illegal gewesen war. Als Mitglied der SA hatte er sich
1934 an dem gescheiterten Juli-Putsch beteiligt. In Österreich stand er deshalb
auf einer Fahndungsliste, weswegen er über die Grenze nach Bayern flüchten
musste. Dort leistete er zweijährigen Militärdienst, trat formell der NSDAP bei
und arbeitete anschließend in München bei der Firma »Agfa«. Nach dem »An-
schluss« Österreichs an das Deutsche Reich 1938 tauchte Robert Haider wie-
der in Österreich auf und wurde »Gaujugendwalter« der »DAF« (»Deutsche
Arbeitsfront«) in Linz. Zwei Jahre später wurde er zur Wehrmacht eingezogen.
Ein Onkel der Mutter Dorothea erwarb indes im November 1941 das arisierte
Kärnter Bärental, das der Großneffe Jörg in dem Jahr seiner Wahl zum Bun-
desobmann der FPÖ schließlich erben sollte :
972 LW, S. 14.
973 LW, S. 34.
974 LW, S. 16 f.
975 Vgl. Zöchling, Haider, S. 18.
268 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319