Seite - 276 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Bild der Seite - 276 -
Text der Seite - 276 -
»Ich geh’ gern in eine Regierung, wenn ich Kanzler bin, alles andere reizt mich nicht
sehr. Ich bin ein schlechter Zweiter.«1009
»Wir sind eine politische Großmacht geworden. Unser Ziel ist es, den Kanzler und den
Landeshauptmann zu stellen !«1010
Nach den Nationalratswahlen im Herbst 1999 konnte die (zwar krisenge-
schüttelte, aber immer noch stimmenstärkste) sozialistische Partei unter Vik-
tor Klima keine handlungsfähige Regierung bilden. Die von Bundespräsident
Klestil verordneten »Sondierungsgespräche«1011 scheiterten. Wolfang Schüssel,
Obmann der ÖVP, die erstmals hinter der FPÖ auf Platz 3 in der Wählergunst
gelandet war (auch wenn die Differenz marginal war), packte die Gelegenheit
beim Schopfe, als Drittplatzierter Bundeskanzler zu werden, was nur mit Un-
terstützung der FPÖ möglich war. Innerhalb weniger Tage und ohne offiziellen
Auftrag des Bundespräsidenten fanden sich ÖVP und FPÖ im Jänner 2000 zu
einer neuen Regierungskoalition zusammen. Frühere Äußerungen Schüssels, in
denen er angekündigt hatte, als Drittplatzierter in Opposition zu gehen, und in
denen er eine Zusammenarbeit mit der FPÖ strikt abgelehnt hatte, entpuppten
sich als Lippenbekenntnisse :
»Eine FPÖ, die die EU ablehnt, die Integration torpediert, den Euro mit Schauerge-
schichten bekämpft und in der Ausländerfrage mit den Gefühlen der Menschen spielt,
lehne ich ab.«1012
»Haider hat seinen abstrusen Ideen nie abgeschworen. Bei seinen zentralen Botschaften
hat er immer wieder ein Schäuferl nachgelegt. Also kommt er für uns nie in Frage.«1013
Michael Fleischhacker führt in seinem Essay zur »Wende« 2000 Schüssels in-
konsequenten Umgang mit früheren Feststellungen auf einen Zusammenhang
zum psychischen Krankheitsbild der »Hysterie« (im Freud’schen Sinne) zurück :
Da werden der »gleiche Sachverhalt, dieselbe Frage… zwei oder drei Tage später
ganz anders geschildert und beurteilt, ohne dass zumindest das Bedürfnis nach
einer Rechtfertigung für diese Diskrepanz auftaucht«1014.
1009 Haider, zitiert nach : Czernin, Westentaschen-Haider, S. 212.
1010 Ders., zitiert nach : Ebd., S. 213.
1011 Fleischhacker, Die Wende zur Hysterie, S. 17.
1012 Schüssel, zitiert nach : Czernin, Westentaschen-Haider, S. 8.
1013 Ders., zitiert nach : Ebd.
1014 Fleischhacker, Die Wende zur Hysterie, S. 23.
276 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319