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recht unverhohlen – »totale Verleugnung«13 statt. Die Kritik an dem allgemei-
nen sprachlichen Unvermögen findet sich in einem Großteil von Jelineks Texten
wieder : manchmal ex-, manchmal implizit, sehr oft in Mischformen.
Um die Besonderheit Jelineks literarischer Ästhetik, die sich durch das stän-
dige Experimentieren mit neuen Formen auszeichnet, herausarbeiten zu können,
wurde in einem nächsten Schritt eine Annäherung an die Autorinnenbiografie
geleistet, welche die theoretische Auseinandersetzung nicht nur mit lebensge-
schichtlichen Details zu Elfriede Jelinek bereichern, sondern auch literarische
Traditionen bewusst machen sollte, an welche die Autorin mit ihren Metho-
den von Collage, Montage und Destruktion anknüpft. In erster Linie sind es
die sprachkritischen und avantgardistischen Literaturtraditionen des 19. und
20. Jahrhunderts, die Jelinek in jungen Jahren geprägt haben. Die Nähe zum
Wiener Aktionismus und zu der Experimentierfreudigkeit der Wiener Gruppe
ist auch heute noch erkennbar. Für Jelinek selbst ist dabei die Feststellung wich-
tig, dass sie sich »leidenschaftlich und patriotisch und geradezu fanatisch« als
österreichische und nicht als deutsche Autorin fühle, denn das Österreichische
sei »eine ganz andere Sprache«14, die sich unter dem Einfluss jüdisch-öster-
reichischer Literaturtraditionen in der Habsburger Monarchie entwickelt habe :
Durch den Einfluss des Jüdischen sei vor allem das satirische Schreiben in die
österreichische Literatur getragen worden, das der nationalsozialistische Fa-
schismus mit seiner eindimensionalen Auffassung von Kunst und der Ausrot-
tung bzw. Vertreibung jüdischer Kunstschaffender vernichtet hat.
In einem weiteren Schritt wurde darauf aufmerksam gemacht, welchen Stel-
lenwert die Auseinandersetzung mit dem Opfermythos in Elfriede Jelineks li-
terarischem Œuvre einnimmt : Hierfür wurde ein roter Faden gesponnen, der
von frühen Texten in den 1960er und 70er Jahren bis hin zu jüngsten Veröffent-
lichungen reicht, welche die Kritik an Opfermythos und Faschismus in ihren
Mittelpunkt stellen. Dabei wurde die wichtige Erkenntis herausgestrichen, dass
Jelineks spezifischer, marxistisch geprägter Faschismusbegriff über das singuläre
historische Ereignis des deutsch-österreichischen Nationalsozialismus hinaus-
geht und allgemein die ungleichen Gewalt- und Besitzverhältnisse innerhalb
der Gesellschaft beschreibt. In geistiger Nähe zu Theodor Adorno ist Faschis-
mus bei Jelinek als Phänomen der Masse zu lesen, die durch eine ideologisch
vereinnahmte Sprache manipuliert, verdummt und ent-politisiert wird.15
Ihr Destruktionsverfahren ermöglicht es Jelinek, Sprachgebrauchsformen wi-
derzuspiegeln, anhand deren parodistischer Verfremdung Mythen erkannt und
13 Jelinek, zitiert nach : Janke/Kovacs/Schenkermayr, »Die endlose Unschuldigkeit«, S. 19.
14 Dies., zitiert nach : Sander, Textherstellungsverfahren, S. 19 f.
15 Vgl. Kapitel 1.6.2 dieser Studie. 283
Zusammenfassung der Ergebnisse |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319