Seite - 15 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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15Zeitungsbilder
als fotohistorisches Quellenmaterial
die Geschichte der Pressefotografie ausgehend von
zufällig erhaltenen Einzelbildern zu schreiben. Da zu-
dem ein Großteil der originalen Bildvorlagen, die in
den illustrierten Zeitungen abgedruckt wurden, ver-
loren gegangen sind, ermöglicht die gedruckte Foto-
grafie in vielen Fällen auch eine Rekonstruktion von
fotohistorischen Zusammenhängen, die auf anderem
Wege nicht zu leisten wäre. Ergänzend dazu erfolg-
ten Kontextrecherchen in wichtigen Pressebild- und
Fotoarchiven, die u. a. auch Aufnahmen von Pressefo-
tografen (in Form von Abzügen oder Glasnegativen)
aufbewahren. Ein Gutteil der Pressebildarchive, die
die Geschichte der illustrierten Zeitungen bis zum
Zweiten Weltkrieg dokumentieren, ist allerdings im
deutschsprachigen Raum verloren gegangen oder ent-
sorgt worden.14 Dennoch gibt es eine Reihe wichtiger
Bestände, die für die Analyse der Pressefotografie von
zentraler Bedeutung sind.15
Die in Zeitungen veröffentlichte Fotografie ist nicht
nur ein wichtiges historisches Anschauungsmateri-
al. Die illustrierten Zeitungen selbst sind ein bisher
kaum genutztes, aber überaus bedeutsames Archiv
der Fotografiegeschichte, das weit über die Presse-
fotografie hinaus interessantes Quellenmaterial für
die fotohistorische Forschung bereitstellt. Um nur
ein Beispiel zu nennen: Das umfangreiche Werk jüdi-
scher Fotografinnen und Fotografen, die in Österreich
ab 1938 verfolgt und von denen fast alle vertrieben
wurden, ist nur zu einem kleinen Teil in Originalfoto-
grafien erhalten. Da zahlreiche dieser Fotografinnen
und Fotografen auch für die illustrierte Wochenpresse
oder Magazine gearbeitet haben, ist zumindest ein
Teil dieser Bilder in reproduzierter Form erhalten.
Auch dieser Aspekt wird in der vorliegenden Studie
anhand zahlreicher Beispiele untersucht.
Es ist bemerkenswert, dass die Geschichte der
Pressefotografie, vor allem dann, wenn sie sich ab-
seits der bereits bekannten großen Namen bewegt,
noch zahlreiche Überraschungen und Entdeckun-
gen bereithält. Immer wieder stieß ich im Zuge der
Forschungen auf Fotografinnen und Fotografen, die
entweder unbekannt oder lediglich aus gänzlich an-
deren Zusammenhängen (etwa der Atelierfotografie)
bekannt waren. Auch wenn in vielen Fällen ihre
Sammlungen verloren gegangen sind, ist es möglich,
Bis in die späten 1930er Jahre werden – zumindest
in Kontinentaleuropa10 – Pressefotos vor allem in wö-
chentlich erscheinenden Illustrierten, aber auch in
Monats- oder Zweimonatszeitschriften gedruckt, je-
doch verhältnismäßig wenig in Tageszeitungen. Da-
her habe ich mich in der Analyse vor allem auf die
nicht täglich erscheinende Bildpresse konzentriert
und nur gelegentlich Ausflüge in die Tagespresse, in
unregelmäßig erscheinende Periodika oder auch in
Fotobücher unternommen.11 Trotz dieser Einschrän-
kung ist der Umfang des untersuchten Materials noch
überaus beachtlich. Um nur ein Beispiel zu nennen:
Allein das bereits genannte Interessante Blatt kommt
im mehr als fünf Jahrzehnte umfassenden Untersu-
chungszeitraum auf über 130 000 Zeitungsseiten.
Viele der untersuchten Zeitungen und Zeitschriften
sind zwar kurzlebiger (und weniger umfangreich),
dennoch summiert sich das Material zu einem verita-
blen Zeitungsberg. In meiner Forschungsarbeit habe
ich die untersuchten Zeitungen, Zeitschriften und
Magazine wenn möglich im Original gesichtet. Denn
die haptische Arbeit im Archiv liefert wichtige Auf-
schlüsse über zentrale Aspekte der Pressefotografie,
etwa Drucktechniken, Gestaltungsformen, Formate
oder Fotoqualität, liefern. Zwar ist bereits eine Reihe
von wichtigen Zeitungen und Zeitschriften in ver-
dienstvollen Online-Archiven zugänglich12, wodurch
der Recherche neue Möglichkeiten eröffnet werden.
Dennoch führt für eine fundierte wissenschaftliche
Untersuchung kein Weg am Zeitungsarchiv und den
Originalen vorbei. Um mit der großen Menge an ge-
wonnenen Informationen sinnvoll umgehen zu kön-
nen, war es notwendig, nach einer ersten breiten
Sichtung des umfangreichen Gesamtmaterials den
Blickwinkel wieder zu verengen und kleinere Unter-
suchungseinheiten bzw. -themen für tiefer gehende
Untersuchungen auszuwählen.13
Ich habe in der vorliegenden Studie das Schwerge-
wicht bewusst auf die veröffentlichte Fotografie gelegt.
Diese bildete das zentrale Untersuchungsmaterial der
vorliegenden Forschungsarbeit. Die kulturhistorische
Interpretation und Deutung von Pressebildern ist in-
nerhalb ihres originalen Verwendungszusammenhan-
ges, also eingebettet in ein breiteres Medienensemb-
le, besonders ergiebig. Man entgeht damit der Gefahr,
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang